Gut behütete Familiengeheimnisse

LesenAuch die 48. Woche im Projekt der 52 Bücher hält wieder ein Thema bereit, mit welchem ich so rein gar nichts anfangen kann. Langsam vermute ich in meinem Größenwahn ja pure Absicht, förmlich einen persönlichen Feldzug dahinter, eine Welt(herrscherinnen)verschwörung, welche politische wie literarische Ausmaße annimmt. Die monströsen Fäden sponnen sich bisher überwiegend gut versteckt durch die einzelnen Themenwochen, doch mittlerweile scheint meine Taktik aufzugehen, zum allgemeinen Preisverfall für Limetteneinkäufe beizutragen. Das Caipi-Monster wird unvorsichtiger, lässt sich zu offensiven Gehässigkeiten à la “Turm der ungelesenen Bücher” und “irgendwas mit Farben” herab.

Merkel und Putin - Liebe und Verschwörung

Dies Bild besitzt doch alles, was in einem guten Politthriller vorkommen sollte: Liebe, Macht, Politik, Offensichtliches und hintergründiges Miteinander...

Es wird also ganz offensichtlich: Mit Verschwörungstheorien jeglicher Art habe ich nichts am Hut, in meiner Welt beruht alles auf empirisch nachweisbaren Tatsachen. Daher kann ich wohl dem Genre Politthriller so gar nichts abgewinnen. Das Thriller-Element in diesen Büchern verstört mich. Ich halte politische Machenschaften für eh schon strapaziös wie verflochten genug, als dass ihnen eine zusätzlich verschwörerische Komponente hinzugefügt werden müsste. Meist scheint diese dem politischen Weltgeschehen eh schon inhärent, was fiktionale Ausschweifungen dahingehend für meine Verhältnisse völlig überflüssig macht.
Seien es Abhandlungen zu lobbyistischen Machenschaften, Maßnahmen zum Machterhalt auf parteipolitischer Ebene oder gar im globalen Geschäft, Politik ist nervenzerfetzend! Brauche ich da tatsächlich noch einen Zusatzthrill?

Also setze ich mich an dieser Stelle mit einem Roman auseinander, welcher in meiner kleinen Welt beide Eigenschaften hervorragend verbindet, jedoch bei meiner Suche nach den klassischen Politthrillern mit keinem Wort auf einer Auflistung solcher Werke Erwähnung findet. Wahrscheinlich zurecht, es gibt keine Verschwörungen, sondern lediglich eine fiktive Geschichte, welche sich so jedoch durchaus vielfach nach dem Ende des 2. Weltkriegs zugetragen haben könnte.

Uri Orlev: Julek und die Dame mit dem Hut

Uri Orlev Julek scheint als einziger aus seiner Familie die Shoa überlebt zu haben. Seinen Vater sah er mit eigenen Augen im Lager sterben. Über das Schicksal seiner Mutter sowie seinen Schwestern herrscht für ihn keine absolute Gewissheit. Getreu dem Credo “Die Hoffnung stirbt zuletzt” macht sich der 17-jährige zwei Jahre nach Kriegsende noch einmal auf in sein Heimatschtetl. Doch laut der überwiegend feindselig eingestellten Dorfbewohner, kam kein Überlebender zum Haus der Familie. Mit dieser tragischen Gewissheit im Gepäck findet Julek endlich die noch fehlende Kraft sein Vorhaben nach Eretz Israel auszuwandern. Heim ins gelobte Land. Allein diese Auswanderung in den Anfangszeiten des politischen Zionismus und gegen Ende des britischen Völkerbundmandats für Palästina bietet schon großes Potenzial zum Politthriller. Die britische “Herrschaft” sollte eine friedliche und sukzessive Einwanderung der jüdischen Bevölkerung nach Palästina bzw. Israel regeln. Doch menschliche Träume und bürokratisches Vorgehen haben noch nie wirklich harmoniert. So brechen während dieser Heimkehr nach der jahrhundertelangen Diaspora & den unmenschlichen Erlebnissen des Holocaust alte Wunden auf und neue Traumata entstehen. Sowohl die Beschwerlichkeiten, welche die jüdischen Flüchtlinge auf sich nehmen müssen, als auch gewalttätige Eskalationen auf beiden Seiten beschreibt Uri Orlev in seinem Werk auf eine eindringliche Weise. Jene Geschehnisse, welche im allgemeinen Geschichtsverständnis meist von den vorhergehenden und nachfolgenden Ereignissen überdeckt werden, bringt Orlev den Lesenden auf eine menschliche Weise so nahe, dass in mir das Gefühl entstand, etwas Licht an einen dunklen Fleck in meinem Geschichtswissen getragen zu haben. Julek und die Dame mit dem Hut ist damit nicht nur ein spannender Politthriller, sondern auch ein packendes Familiendrama sowie ein überaus erhellendes Werk zur Geschichte der jüdischen Emigration, dem erhofften Ende der Diaspora, über den Zionismus und die schmerzlichen Nachwirkungen der Shoah.

Doch wer ist die Dame mit dem Hut? Welche Stellung nimmt sie in der Geschichte ein? In welcher Beziehung steht sie zu Julek, den Juden & den Briten? Soviel sei gesagt, dies alles erschließt sich ihr selbst auch erst im Laufe der Handlung. Wer es wissen mag, kann sie auf ihrem politisch-familiären Selbsterfahrungstrip begleiten. Gemeinsam mit der gut behüteten Dame den Geschehnissen aus körperlich sicherer Position beiwohnen und dabei doch vielleicht seelisch ebenso genauso mitgenommen werden, wie jene Dame, Julek und die übrigen Protagonisten.

2 Responses to 'Gut behütete Familiengeheimnisse'

  1. Fellmonsterchen says:

    Um so schöner, dass Du Dich der Herausforderung stellst und so ein lesenswertes Buch vorstellst.

    Dass Merkutin-Bild ist allerdings… also, ich glaube, ich muss mal gucken, ob noch Limetten da sind…

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