Niemals aufgeben!

LesenDa ich meine Aufholjagd bei den 52 Büchern des Fellmonsters zwischenzeitlich etwas schleifen ließ, passt das Thema zum Nachholen heute wie der sprichwörtliche Arsch auf den Eimer:

Das abgebrochene Buch
Bücher, deren (an sich sehr lesenswerter) Inhalt Euch so mitgenommen hat, das ihr aus emotionalen Gründen nicht weiterlesen konntet.

An und für sich breche ich lesenswerte Bücher generell nicht ab. Ist der Lesestoff auch noch so schwer verdaulich, die Neugier, Wissbegierde, der Voyeurismus oder wie auch immer man die Motive betiteln mag, treiben es rein.

Vor wenigen Jahren musste ich jedoch dennoch ein Buch zumindest zeitweilig beiseite legen. Ich nahm die Lektüre einige Wochen später zwar wieder auf, aber erst nachdem ich meine Gefühlswelt ein wenig überdacht habe.

Jonathan Littell: Die Wohlgesinnten

Der Roman geisterte kurz nach seiner Veröffentlichung in deutscher Sprache 2008 auch einige Zeit durch die Medien. Von “ekelhaft” bis “meisterlich” waren jegliche Maßstäbe auf der Werteskala hiesiger Kritiker vertreten, natürlich auch das gern im fiktionalen Umgang mit Literatur zur Shoah gefragte “Darf man das?“.

Warum der Roman so ein Aufreger war, ist auch den Menschen, welche das Brimborium ums Werk nicht mitbekommen haben, schnell erklärt:
Littell beschreibt den Holocaust aus einer recht strittigen Perspektive. Der französische Autor widmet sich der Frage, wie aus Menschen Mörder werden, indem er sich mittels seines Protagonisten förmlich in die damaligen Vorgänge hineinfrisst. Die Wohlgesinnten wird aus der Ich-Perspektive des fiktiven SS-Obersturmbannführers Aue erzählt. Maximilian Aue ist ein überaus gebildeter, sogar sympathischer und geistig aufgeweckter Charakter. Auf vielen Ebenen steht er durchaus im Widerspruch mit den Nazi-Ideologien der damaligen Zeit. Er setzt sich kritisch, aber rhethorisch geschickt mit seinen eigenen homosexuellen Neigungen auseinander und ist (nicht nur) inzestuös mit seiner Zwillingsschwester Una verbunden. Für sich selbst und auch den Leser kann Aue jedoch jegliche Unvereinbarkeit zwischen seiner Ideologie und seinem realen Empfinden gekonnt vereinen.

Ich unterlasse es aus dem 1400 Seiten umfassenden Roman zu zitieren, weil jeglicher Fetzen nur aus dem Zusammenhang gerissen werden kann. Das Werk baut in sich schlüssig aufeinander auf und der Leser gerät in den widerwärtigen Sog, welcher die Sichtweise des SS-Offiziers Aues ausmacht. Der Autor versteht es meisterlich, sich in seine selbst erschaffene Figur hineinzuversetzen und den Leser dabei mitzureißen. Maximilian ist nur ein Rädchen in der Tötungsmaschine der Nazizeit. Auch er hat eben die menschlichen Regungen wie Ekel, Mitgefühl ist geschockt und beschämt. All das, was wir gern mit dem Abstand auf solche Greuel den Mördern jener Zeit aberkennen, uns fragen wo es bleibt, wird in den brachial geschichtsnahen und abscheulich authentischen Geschehnissen beim Protagonisten durchlebt. Doch auch die Verarbeitung, das Wegstecken und “Schönreden”, das zum Weiterleben und Weitermorden notwendige Rechtfertigen und Einordnen sowie Abstumpfen in diesem Getriebe erlebt der Leser mit. Die Identifizierung mit dieser verwirrend, abartigen Seite des menschlichen Seins ließ mich auch Pausieren. Natürlich mordet man nicht selbst. Die Fragen, welche man sich jedoch immer mal wieder bei der Konfrontation mit der Thematik des systematischen Völkermordes stellt “was hätte ich getan?”, jene Problematisierung der eigenen Ansichten mit dem Abstand, welchen meiner Generation glücklicherweise die Zeit gewährt hat, diese Fragen beantwortet Littell brachial mit der von ihm gewählten Perspektive eben einfach mal anders, als man es für sich selbst lieber tun würde, anders als es gesellschaftlich oder für das eigene Selbstbild vielleicht zulässig ist.

Ein wenig schade finde ich an manchen Stellen, dass die Darstellung des Maximilian Aue ein bisschen zu sehr in die Richtung eines tragischen Helden abzurutschen droht, was sicher auch dem beschriebenen Gedankenkonstrukts des Protagonisten selbst geschuldet ist. Aber insgesamt ist Jonathan Littells Werk trotz oder auch gerade wegen der Dramatik, die es im Inneren durch die Auseinandersetzung mit den eigenen Idealen mit einem so anstellt eine unheimlich bereichernde Sichtweise, die zusätzlich abschreckt vor Vergessen und an die Vorsicht vor der eigenen Arroganz aufrüttelt. Geschichtlich bestechend gut recherchiert und emotional wahnsinnig glaubwürdig rübergebracht. Auch das Zusammenspiel verschiedenster Faktoren auf dem Weg zur absoluten Entmenschlichung wird wunderbar beleuchtet, so ist Max Aue weder der verrohteste Mörder des damaligen Systems noch lediglich Gefangener seiner Sozialisierung. Seine Zwillingsschwester, welche ihm in so vielerlei Hinsicht gleicht, rutscht aus gutem Grund eben nicht in jene Abgründe des menschlichen Daseins ab, Der Mensch hat die Wahl, das zeigt und verdeutlichen Littell, sein Werk und der Protagonist, aber eben auch, dass und wie mit “anderen Entscheidungen” gelebt werden kann oder muss. Man bringt so Verständnis für einzelne Motive zur Mitwirkung in dieser Völkermord-Maschine auf, ohne dabei irgendwelchen fadenscheinigen oder mitleidtriefenden Entschuldigungen auf den Leim gehen zu müssen. Schwere Kost also, aber ein geistiger Leckerbissen.

 

Trackbacks/Pingbacks
  1. [...] Buch, welches mir auf Anhieb einfiel, wegschnappte. Allerdings hatte ich das bereits eh verwurstet. Die Wohlgesinnten heißt der Klopper. Zudem konnte ich bei der daraufhin notwendigen Bestandssichtung endlich mal [...]

Hinterlasse einen Kommentar zu Dicke Walzer | Glotz_net Cancel reply

Your email address will not be published. Required fields are marked *

*