Rezension: Jo Nesbø – Die Larve

Lesen nach Alphabet Mein erster echter Kriminalroman (wie bereits kurz erwähnt). Bis auf damals die Kommissar Kugelblitz Bücher …kennt die (noch) wer? Die waren ja ganz großes Kinderbuch-Kino! So kleine Stories in denen sich die Verbrecher an irgendeiner Stelle verraten haben und der clevere Kommissar sie dann anhand dessen überführt hat. Anschließend konnte das aufmerksam lesende Kind raten, womit sich der Delinquent wohl verplappert hätte oder welches das entscheidende Indiz war. Lösung & Erklärung standen dann unter einem roten Feld, auf das kind nun seine ebenfalls rote Kriminalfolie legen konnte, um zu überprüfen, ob die eigene Annahme richtig war. Interaktive Bücher, welche die kindliche Aufmerksamkeit schulten. Janz toll.
Wie gesagt, danach war nun etwa zwanzig Jahre Ruhe in der Krimikiste. Schließlich war ich ja, dank Kugelblitz und Genen eh schon der geborene Undercover-Bulle. Wozu sich also mit Dingen aufhalten, die mir offensichtlich im Blut lagen.
Dann kam Harry. Eigentlich kamen zuerst von mir niedergetrampelte Familientraditionen.
Schwippschwagers Stiefzwilling schenkt seinem Zwilling nämlich generell nichts. Weder zu Weihnachten, Geburtstag oder mal einfach so. Umgekehrt besteht diese feste Tradition & Erwartungshaltung ebenso. Die machen das nicht nur so als Floskel, die tun das tatsächlich nicht. Nachdem ich mich nun einige Jahre an diesen Unbrauch gehalten habe, hatte ich wohl in geistiger Umnachtung & Adventsüberschwang versehentlich doch eine Kleinigkeit zu Weihnachten besorgt. Daraufhin wurde besagter Stiefzwilling ungewollt in groben Zugzwang versetzt. Er kannte meine Familientradition offenbar nicht, welche etwa nach dem Motto funktioniert, “Wenn du das Bedürfnis zu schenken verspürst, mach doch, mal schauen, ob ich es ebenfalls verspüre – Überraschungen ohne Garantie”.
Jedenfalls trabte er am ersten Weihnachtsfeiertag hilflos in eine Bahnhofsbücherei, an und für sich schon ein unsäglicher Ort, aber zum einen konnte er das als stringenter Eher-Nicht-Leser kaum ahnen, zum andern handelte es sich um eine der wenigen offenen Örtlichkeiten über die Feiertage. So kam er dann rührselig stolz mit jenem Krimi zurück. Höflich & artig dankte ich. Von Nesbø hatte ich immerhin schon einmal (nicht unbedingt schlechtes) gehört. Aufgrund des neu betretenen Schenk-Geländes fragte er bereits wenige Tage später, ob ich das schon kenne und “so etwas” lesen würde. Ehrlich wie ich nun einmal bin, lautete die Antwort “Nö, eigentlich nicht” – ein Schlucken auf der anderen Seite des Telefons ließ mich gleich bereuen und den Vorsatz fassen, es doch wenigstens zu versuchen. Und dann kam Harry.

Jo Nesbø – Die Larve

Kriminalroman NesboHarry Hole ist so ein typisch abgewrackter Ermittler und die Hauptfigur in Nesbøs legendärster Romanreihe. “Die Larve” ist wie ich feststellen durfte wohl der (vermutlich also mit grenzwertiger Sicherheit und dennoch nicht ganz ohne Hoffnung auf weitere Bücher) letzte Band jener Krimiserie.
Harry mochte ich auf Anhieb. Ich steh ja auf klischeebehaftete Typen mit überbordendem Gerechtigkeitssinn & Ehrgeiz, einem Hang zur anarchistischen Auslegung von Recht & Ordnung sowie einer stetig schwelenden Suchtproblematik im Hintergrund (klingt komisch, ist aber so). Ex-Ermittler Harry – trockener Alkoholiker mit stets präsentem Rückfallrisiko, vernarbt, schwer traumatisiert – hatte also rasant mein Herz erobert. Einzig der Nachname “Hole” machte mir zu schaffen. Es handelt sich wohl um einen norwegischen Namen und muss sich klangmäßig irgendwo zwischen “Loch” & “heilig” bewegen. So brach ich mir beim Lesen also jedesmal fast eine Synapse, während ich auf der korrekten Aussprache herumgrübelte.
Der Inhalt traf überraschend gut ins Schwarze persönlicher Interessen. Was aus dem Klappentext nicht einmal annähernd ersichtlich war. Im Groben geht es um die Entwirrung eines Netzwerks zum Handel, Import & Export von Heroin. Kriminelle Machenschaften, die sich weit in den Polizeiapparat und die Politik erstrecken.
Ein Junkie wurde ermordet. Der Fall scheint klar. Der Täter steht fest. Doch Harry kehrt einzig für diesen Fall zurück aus Hongkong und ermittelt. Denn zum vermeintlich Schuldigen hat er vor Urzeiten wohl eine Vater-Sohn-Beziehung aufgebaut. Damals, als dieser noch ein unschuldiges Kind weitab von Drogenkonsum & Kriminalität war. Die Mutter des Jungen ist Harrys große Liebe Rakel, zu der es ebenfalls noch einige Jahre Beziehung, Beziehungsabbruch & Flucht aufzuarbeiten gilt.
Viele viele Seiten stand ich der in den Himmel gelobten Struktur jener kriminellen Vereinigung überaus skeptisch gegenüber. Da gab es Schwachstellen, die mir als Genie des Verbrechens einfach nicht in den Kopf gehen wollten. Diese lösen sich zwar mit fortschreitender Handlung überwiegend auf, dennoch waren sie ein klitzekleines anhaltendes Ärgernis, was mich womöglich nicht in den vollen Genuss dieses Leseerlebnisses kommen ließ.
Dennoch war dies definitiv nicht mein letzter Ausflug mit Harry Hole und somit in die Welt der Kriminalliteratur. Rückblicke auf die eigene Geschichte des Ermittlers, welche sich zwar oftmals auf andere Werke der Reihe bezieht, stoßen auch ohne Vorwissen beim Lesenden auf Verständnis und schaffen Empathie. Enorm gelungen empfand ich die Spielarten mit den Verwebungen der Zeitebenen und Perspektiven des Krimis. Derartiges Können bewundere ich ja zutiefst.

4 Responses to 'Rezension: Jo Nesbø – Die Larve'

  1. Kommissar Kugelblitz? Lustig – aber mir völlig unbekannt. Aber ich war ja auch zu einer Zeit jung, wo Du noch nicht einmal in der Zeit warst :mrgreen: Ich war früher mit Enid Blyton und ihren 5 Freunde(n) unterwegs. Aber das war mehr Abenteuer als Detektivgeschichte. Und wenn, dann wäre ich sowieso eher auf der anderen Seite gewesen …
    Auch wenn der Harry Hole (warum erinnert mich der Name nur so an Pussy Galore?) ein echter Typ zu sein scheint – ich weiß nicht … soooo überragend hört sich der Plot für mich nicht an. Ich bleibe wohl schlicht zu sehr Phantastisch oder Sachbuch orientiert. Und in meinem hohen Alter geht Mann ja auch eigentlich keine Wagnisse mehr ein ;-) Und wahrscheinlich, da ich auch Suchtabhängig bin, liegen mir solche Charaktere eher zu nah …

  2. DillEmma says:

    Gerade wegen des “auf der anderen Seite”-Gedankens mag ich Vharaktere, die glaubwürdig ambivalent gezeichnet sind.
    Mit akuter Nadelgeilheit übt das Werk defintiv (selbst oder gerade an scheinbar negativen Stellen) überaus triggernde Wirkungskraft aus. Selbst bei gefestigten Charakteren (zu denen ich dich mal intuitiv zähle) ohne Intravenösaffinität kann die Nebenwirkung allerdings zwischen Hass und Schwelgen liegen. Allerdings empfand ich diese (Sachbuchnähe minus Emotionsaspekt) Realitätsnähe auch schlichtweg beeindruckend. Ich verstehe jedoch ohne weiteres Abneigungen gegen Kriminalromane per se. Vielleicht fehlt dir einfach ein familiäres Pflichtgefühlserlebnis um dich in neue Gebiete zu wagen :P

  3. Vielleicht fehlen auch einfach nur Gebiete, die mir wirklich neu sind ;-) Oder, eventuell besser formuliert: Der Zugang zu solchen Gebieten blieb mir bisher schlicht verwehrt. Denn an mit scheitert aufregend Neues eigentlich eher selten …

    Und meine Intravenösaffinität (Danke für diesen Begriff) beschränkte und beschränkt sich stets auf mein Gehirn. Die Venen dort erreiche ich allerdings mit keiner Nadel, auch wenn man sie mit Stichen sehr wohl treffen kann. Aber da eigentlich alles im Kopf beginnt wäre ich blöd, mir die Transmitter dorthin mit eingespritzten Botenstoffen zu verstopfen. Des Menschen Fantasie ist sein Himmelreich, um Dich auch als GOTT anzusprechen, der mich in seiner Pubertät verpfuscht hat :-P

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  1. [...] sich ein neuer Krimi zur munteren Meute aus vormals einem ganzen gelesenen Exemplar dieses Genres ( wir berichteten). Damit habe ich mal eben den Gesamtbestand verdoppelt! Im Vorbeigehen quasi. Der pure Zufall will [...]

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