Juchu Montag

Ich kreuze diesen Tag in allen Kalendern des letzten Jahrzehnts am besten rot an. Kommt ja nicht allzu häufig vor, dass jene Worte in der Überschrift mit solch geringer Distanz zueinander und ohne jedwede Spur von Sarkasmus verwendet werden können. Doch das ganze hat ehrlich gesagt einen tragischen Hintergrund oder ist vielmehr sogar der Akkumulation diverser trauriger Gründe:

Samstag morgen:
Ich radel nichts Böses ahnend die Straße entlang. Rechts von mir am Straßenrand erstrecken sich wöchentlich aufgebaute Tische und Decken mit Ramsch. Es handelt sich um die Reinickendorfer Varainte eines Flohmarktes. Besonderes Merkmal eines solchen scheint im Gegensatz zu “echten Flohmärkten” allerdings, dass jedwede teilnehmende Verkaufspersonen beim Verlassen ihrer Wohnung schnell den Müll mit runter genommen haben und diesen nun versuchen meistbietend an die dümmste, liquide Person zu bringen, die sie treffen. Links von mir tappelt ein Igel über die morgendlich verträumte Straße. Das einzige Auto in gefühlten 100km Umkreis prescht heran. Ein schwarzer Mercedes (was sonst!). Scheinbar sieht der Fahrer das Tier, das nun tatsächlich an Fahrt aufnimmt und noch den sicheren Bordstein erreichen möchte. Noch etwa hundert Meter für den Luxusschlitten, zwanzig Meter für mich zum stacheligen Vekehrsteilnehmer. Ein ungutes Gefühl breitet sich in mir aus, ich trete ein bisschen schneller in die Pedale. Auch der Fahrer gibt Gas. Kein Grund zur Sorge. Die Straße ist zweispurig und leergefegt. Der Kerl kann und wird ja wohl ausweichen. Er macht tatsächlich einen Schlenker. Nach rechts. Absichtlich auf den Igel. Es knackt. Mir wird schlecht. Ich werd so scheiße wütend. Ich reiße meine Fahrradklingel ab und schleuder sie schreiend der beschissenen Dreckskarre hinterher. Ich treffe nicht. Die Flohmarktbesucher schauen zwischen pikiert (über mich), verdutzt (über mich) und desinteressiert (dem Schiksal des Igels gegenüber). Der Igel schaut gar nicht mehr. Seine Augen hängen vermutlich an der Radkappe eines geparkten Autos oder in den eigenen Gedärmen. Bin ich gestört oder alle anderen?

Samstag mittag:
Nahe eines bekannten Substitutionsarztes in einer nicht ganz so schicken Ecke Berlins. Hier hängen oft düster anmutende Gestalten rum. Der Ton ist nicht unbedingt durchgängig der Feinste. Manchmal wird es laut, manchmal lustig, selten auch mal handgreiflich. Vor einem Auto stehen lautstark diskuttierende Junkies. Vorüberziehende Passanten bemühen sich, möglichst derart zu gucken, als sei niemand da, weder potenziell gefährliche, in diesem Fall offensichtlich über irgendetwas aufgebrachte Menschen, noch sie selbst. In ihren Augen läuft neben kalter Angst auch teleprompterartig das Mantra solcher Situationen & Menschen durch “Alles ist gut. Wir sind gleich vorbei.” Ich bin ein neugieriger Mensch und glaube, Gefahr für mich und Gefahr für andere recht gut auseinanderhalten zu können. Ich bleibe stehen. In dem von den Süchtigen belagerten Auto sitzt ein Hund. Das Auto steht mitten in der Sonne. Kein Fahrer ist in Sicht. (Vielleicht traut er sich auch nur nicht mehr ran?)
“Wir warten hier schon fuffzehn Minuten!” gröhlt mir einer der Typen entgegen. “Dat Vieh verreckt doch in der Karre!” Der Hund wirkt tatsächlich schon etwas apathisch. “Wir brechen das jetzt auf!”, schlägt ein schlacksiger Kerl aus der Gruppe vor. Ein kleiner Dicker setzt sich daraufhin in Bewegung zu einer nur wenige Meter entfernten Baustelle. Hier weicht der eben noch sichere Aktivismus scheinbar kurz einer Unsicherheit. Entgegen aller mythischen Legenden über die gespenstische Leere auf Berliner Baustellen war diese sogar an einem Wochenendtag besetzt. Doch als der zu kurz geratene Stiernacken sich grade versucht, trotz massiver Körpermaße unauffällig und harmlos wirkend umzuschauen, schallt es bereits vom Gerüst: “Da lieg’n Steine, Meista! Nimm die ma!” Stolz kommt er mit einem ollen Backstein zurückgeschlurft und schmettert den Brocken durch die Scheibe des Wagens. Der Hund wird gemeinsam rausgezogen. Er scheint echt fertig zu sein und klatschnass. Letzteres wundert mich später beim Zurückfahren. Erst erschien mir das logisch, weil er wirkte wie komplett verschwitzt. Körper dehydriert, alles Wasser im Fell. Allerdings schwitzen Hunde doch überhaupt nicht durch die Haut…
Zufriedenheit macht sich unter den umstehenden Gestalten breit. Alle streicheln einmal am Geretteten entlang, versichern sich, dass alles in Ordnung ist. Die Gruppe verstreut sich weitgehend, einige machen sich schnell noch auf, denn die Vergabestelle schließt bald. Andere waren bereits da und warten noch am Auto (übrigens wieder ein Mercedes – ich will ja nix sagen, aber…) “Wir warten hier, falls der Pisser zurückkommt. Der kricht wat zu hörn!” Einerseits gönne ich das dem “Pisser”, andrerseits, mach ich mir grad minimal Sorgen um ihn. Die Polizei kommt auch noch vorbei. Scheinbar wurden sie durch hilfreiche Passanten informiert. Vermutlich mit den Worten, dass gewaltbereite Junkies sich vor Luxuskarossen zusammenrotten. Sie halten kurz eine Art Thermometer durch die gesplitterte Scheibe ins Innere des Autos. Bei 62°C (da war die Scheibe schon etwa 2-3 Minuten offen!) ziehen sie es wieder raus. “Is’ nur pro forma”, sagt einer der Bullen kollegial und grinst, “Alles richtig gemacht! Selbst wenn’s weniger Temperatur gewesen wäre.” Das wusste tatsächlich keiner. Selbstverständlich war der Akt dennoch für alle Beteiligten. Es folgt noch eine kurze Aufklärung seitens der Bullerei über Rechte in solchen Situationen. Wir erfahren, eigentlich besteht die Erlaubnis zur Rettung des hilflosen Lebewesen im Autoinneren sogar dann, wenn eine Klimaanlage laufen würde, weil deren Existenz von außen keiner erahnen kann. Alle freuen sich über so sympathische Polizisten und nennen sie zwischendurch sogar so. Die Polizisten fahren weiter, geben denen, die noch hingebungsvoll auf den Fahrer warten wollen, den Rat, keine Dummheiten zu bauen. “Nee nee, Wachmeista. Keen Problem. Nur ‘ne Ansage, aber den Hund krichta nich wieda!” Auch ich fahre weiter und schaue mich verstohlen um, ob jener Fahrer nicht doch hinter einer nahegelegenen Ecke oder in einem Gebüsch kauert, wo er das Spektakel beobachtet hat und nun wartet, dass er doch klammheimlich, wenn schon nicht seinen vierbeinigen, so doch wenigstens den viertürigen Gefährten wieder in die Arme schließen kann.

Sonntag nachmittag:
Der Stiefzwilling holt sein Töchterchen aus irgendeinem Dorf von der einen Oma ab, um es in irgendein anderes Dorf zu der anderen Oma, also seiner Mutter zu schleppen.
Einige Zeit nach Aufsammeln meines Quasistieftöchting erreichen mich lauter Nachrichten, welche gegen Ende komplett großgeschrieben sind. Weder das Nutzen der Caps Lock-Funktion noch der darin an den Tag gelegte Ton entsprechen dem sonst so ruhigen Gemüt des Stiefzwillings. Da fielen Worte, wie sie eher in schlechtem Ghetto-Rap oder miesen Sado-Pornos zu finden sein dürften. Alle Nachrichten drehten sich um den Wachhund der Oma des Stieftöchtings. Also der Oma, welche die Mutter der Stiefzwillingen-Ex ist. Ein riesiger Hund namens Athos. Ein wunderschöner Berner Sennenhund. Gewesen. Keine vier Jahre ist der Kerl alt geworden. Stieftöchting hat ihn also schon als Welpen kennenlernen dürfen und stieg entsprechend traumatisiert zu ihrem Vater in den Zug: “Athos ist tot, Papa. Die Oma hat ihn nicht geschert und bei der Hitze einfach im Zwinger gelassen.” Dem Tier wurden wohl nicht einmal bei Fellwechsel die alten Haare rausgekämmt. Dass Hunde in den Zwinger gehören und den Großteil ihres Lebens dort auch abseits des Rudels zu verbringen haben, scheint in jener Familie (außer beim Stieftöchting und einer Schwester der Ex) Konsenz mit Normalitätscharakter zu sein. Eine Sicht auf Hunde, die in der damaligen Beziehung zwischen Stiefzwilling und Ex schon zu diversen Differenzen führte. Noch heute wird unsere Hundehaltung inklusive “Im Bett schlafen dürfen” von jener Seite aus als der Gipfel jeglicher Verhätschelung belächelt oder gar schief beguckt. Dass die mangelnde Zuwendung einem Lebewesen gegenüber allerdings solche Ausmaße der Gleichgültigkeit annimmt, dass sie dabei elendig verrecken, scheint ein neuer fataler Höhepunkt zu sein. Stieftöchting hatte beim Streicheln ganze Büschel Haare in den Händen. Bat während der heißen Tage mehrmals, den Hund doch mit in den Schatten nehmen zu dürfen. Keine Verständnis. Kein Einlenken. Nun soll ein neuer Hund her. Der Hof muss ja bewacht werden. Wir überlegen die umliegenden Tierheime und Züchter möglichst mit Namen über diesen Vorfall zu informieren. Würde dennoch ein Welpe ausgehändigt werden?
Mag sein, dass manche Menschen diese Sicht auf das Zusammenleben der verschiedenen Spezies als archaisch oder gar richtige Geisteshaltung verstehen und meine/unsere Ansicht als verweichlicht. “Ist doch nur ein Hund!” Ich bin vielmehr der Auffassung, dass ein Mangel an Respekt gegenüber vermeintlich biologisch minderwertigen Kreaturen ein ganz allgemeines Leck an Empathie gegenüber Lebewesen im Generellen offenbart. Solche geistigen Einstellungen ermöglichen überhaupt erst Kriege, Artensterben und alle Schlechte in dieser Welt.

5 Responses to 'Juchu Montag'

  1. Fellmonsterchen says:

    Ziemlich sprachlos…
    Zum letzten, der Wachhund… Wenn die sich wieder einen Hund anschaffen, könnte man den Tierschutz informieren. Wenn man Glück hat, unternehmen die was. Alle anderen Maßnahmen, die mir einfallen, sind eher nicht so legal.

    Meine Oma wollte auch immer, dass ich für meinen Hund bzw. Hunde Zwinger baue, im Haus hätten die ja nichts zu suchen.

    Gute Erholung von diesem ganzen Horror, der mich auch richtig mitgenommen hätte — schon das Lesen hat mich wütend gemacht.

    Katrin, die neben sich im Bett meistens den Höllenhund-Titan liegen hat…

    • DillEmma says:

      Aufgrund diverser hilfloser Erfahrungen mit dem Tierschutz tendiere ich ja eher zu den illegalen Lösungsansätzen – eigentlich sollte ich besser gar nicht drüber nachdenken…

      Diese “Bett oder nicht Bett”-Frage wird wohl eh ein ewiger Streitpunkt sein – gibt ja dieselbe angeregte Diskussion bei Säuglingen oder Kleinkindern. Das an sich mag ja wirklich eine total individuelle Entscheidung sein, wenn wer den Wauzel nich da drin haben möchte, soll mir das doch egal sein. Ich finds schön (und im Winter sogar super praktisch) du ja scheinbar auch :) . Aber ab einem gewissen Level des fehlenden “Rudelinstinkts” sollten sich Leute vielleicht grundsätzlich überlegen, ob ein Hund (oder sonst ein Lebewesen) überhaupt das richtige für sie ist. Ich hab nicht einmal was gegen das Prinzip “Wachhund”, ich fühl mich ja selbst sicherer in Begleitung des eigentlich komplett harmlosen Örls. Allerdings frage ich mich ganz praktisch, was ein solcher Wachhund von seinem Zwinger aus im Falle eines Einbrechers überhaupt bringen soll. Zur Abschreckung würde ja ein Schild reichen oder einmal täglich mit ner Schrotflinte ums Haus patroullieren. Waffen und Schilder sind auch viel anspruchsloser und pflegeleichter, haaren nich, müssen nicht gefüttert und umsorgt werden – also ideal für Leute, die eigentlich eh keine Verpflichtungen eingehen wollen *grmblgnarf*

  2. Raph says:

    Dazu möchte ich wenig schreiben – das würde ausarten und mich zu einem sehr gewaltbereiten Menschen machen; und wollen wir ja nicht. Ich verstehe Deinen Frust und stimme in das abschließende Klagelied mit ein.

    • DillEmma says:

      Ich hab’s auch grad wieder beim Antworten aufs Felli gemerkt: Sobald ich mich wieder mit auseinandersetze, artet’s aus (nicht nur worttechnisch, sondern eben leider auch gefühlsmäßig). Ich schieb das am besten erstmal wieder schön weg, mach jetzt Feierabend und geh mit meinem Freiland-Bio-Wuff an die Sonne.

  3. Silke says:

    Das macht mich unsagbar wütend und traurig. Und nun sitze ich hier, fühle mich hilflos, und kann gar nicht so viel essen, wie ich gerne kotzen würde …
    Oh, Mann….

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