Ein Buch mit Q

Lesen nach Alphabet Ich wollte unbedingt einen Brocken der ekligsten Buchstaben in dieser ABC-Chalenge aus dem Weg räumen. Im Gegensatz zu den Buchstaben X & Y, bei denen das Regelwerk erlaubt, einfach auf Titel zurückzugreifen, die diese Buchstaben lediglich enthalten (Der Ehrgeiz weigert sich allerdings, jene Abkürzung wirklich zu nutzen), sollte für den Buchstaben Q tatsächlich ein Werk mit solchem Initial gefunden werden.
Zunächst googelte ich zum ersten Mal, statt mich einfach weiterhin auf das “Lust & Laune”-Prinzip des sonstigen Lesens zu verlassen. Dabei stolperte ich über zwei Werke, welche ich für geeignet letzteres sogar für überaus spannend befand:
Zum ersten ein historischer Roman (nicht so mein Genre) von Luther Blissett mit dem markigen Titel “Q.” – allein der Titel wäre es ja fast schon wert, sich doch mal der Lektüre hinzugeben. Fast.
Zum zweiten stieß ich auf die “Q-Tagebücher” von Kurt Tucholsky. Hier ginge ich ja sogar freudig mit dem Autor konform. Zudem klingen die Beschreibungen des Verlags schon ziemlich verlockend:

Die Q-Tagebücher 1934-1935

Mit den Anfang der siebziger Jahre in Zürich entdeckten und später unter dem Titel “Briefe aus dem Schweigen 1932 – 1935″ (rororo 5410) publizierten Briefen Kurt Tucholskys an die Schweizer Ärztin Dr. Hedwig Müller kamen auch den Briefen beigefügte Tagebuch-Beilagen ans Licht. Tucholsky hatte diese von ihm sogenannte “Q-Tagebücher” – das Q stand für “ich quatsche” – seinen Briefen an “Nuuna” beigelegt. Sie sollten vor allem “das Politische” enthalten, damit es die Briefe nicht belaste. Bald jedoch triumphierte Tucholskys Schreibtemperament über jede thematische Einengung, die Q-Tagebücher enthalten nun auch Persönliches, Glossen und Mitteilungen aus dem Alltag, ja selbst der Kater Iwan findet auf diesen Seiten einen Platz.

Doch da war ja noch das selbst auferlegte Bücherembargo. Also mal die heimische Bibliothek durchstöbert, wenn sie eh schon zerrupft daliegt. Tatsächlich wurde ich fündig. Ein Werk, dass ich vor Jahren im ersten Semester das letzte Mal las und sogleich noch einmal daraufhin überprüfen konnte, ob der Gehalt weiterhin meiner eigenen Realität stand hält. Tja, was soll ich sagen, das Werk liest sich beim zweiten mindestens genauso stimmig, erfrischend und geistreich wie beim ersten Mal, wenn nicht sogar noch einen Tick besser:

Queer Theory: Eine Einführung – Annamarie Jagose

Wie der Titel schon andeutet, ist es ein Grundlagenwerk, zur Einführung ins queere Gedankengut. Ein erster Schritt auf dem Weg der Dekonstruktion herkömmlicher gesellschaftlicher Stereotypen. Als grundlegend geltende Strukturen wie die Heteronormativität, das Zweigeschlechtermodel oder Kategorien wie ‘heterosexuell’ & ‘homosexuell’ werden hier wunderbar aufgebrochen und ihrer Allmacht beraubt.
Das Werk versucht den Begriff “queer” in seinem (doch recht kurzen) geschichtlichen Wandel zu betrachten. Vom Schimpfwort für “Lesben, Schwule und diejenigen, die sichtbar Geschlechter- und Sexualitätsnormen übertreten”, über die Aneignung des Begriffs als Name für eine politische Bewegung, bis hin zum Etikett für wissenschaftliche Studien zur Untersuchung jener “störenden Faktoren” auf normative Geschlechtsrollenmodelle.
Dabei wird auch ein Einblick in die Geschichte der Schwulen- & Lesbenbewegung gegeben und natürlich ein Ausblick auf die strukturzersetzenden Impulse, welche transgeschlechtliche, transidente und transgender Idetitäten zu diesem Diskurs beitragen.

Annamarie Jagose liefert in diesem Versuch der Annäherung an das Phänomen Queer ein wahrhaft würdiges Werk, welches die Grenzen scheinbar selbstverständlich gelebter Identitäten unserer Gesellschaft aufzeigt. Scheinbar naive Fragen rütteln schon an vermeintlich einzementierten Festlegungen:
Schläft ein_e Partner_in in einer heterosexuellen Beziehung mit Angehörigen des gleichen Geschlechts, ist er_sie dann schwul, lesbisch oder bisexuell? Stellt ein_e Partner_in innerhalb einer heterosexuellen Beziehung fest, dass die eigene Geschlechtsidentität nicht stimmig ist und beschließt diese zu ändern, womöglich operativ anzupassen, hat das dann Auswirkungen auf die sexuelle Orientierung des anderen Parts jener Beziehung – ist “er” dann plötzlich schwul bzw. “sie” dann lesbisch?

Ich empfinde persönlich die zwei Kategorien, die uns so an Geschlechtern inklusive aller Zuschreibungen zur Verfügung stehen als reichlich unzureichend. Wozu diese merkwürdig anmutende Teilung? Wäre eine Abschaffung sinnreich oder eine Aufteilung in weitere “Zwischenstufen”? Auch mit dieser frage beschäftigt sich jener Diskurs. Manchmal würde ich dieses kleine Büchlein gern jeder Person ans Herz legen:
Toilettenaufsichten, die mich aus dem Herrenklo schmeißen (ja, auch wenn ich das nur genutzt habe, weil die Schlange bei der mir zugeordneten Lesart zu lang war). Menschen, die Transmenschen hartnäckig mit dem vermeintlichen Ursprungsgeschlecht anreden oder über sie, weil sie den Menschen an sich nicht einmal kennen. Menschen, die Personen, welche sie einfach nicht in ihr beschränktes Zweigeschlechter-Schema gepresst bekommen, fragen, ob diese nun “Mann oder Frau” seien, oder ihnen gar bis zu einer dieser unsäglichen Toiletten hinterher rennen, welche diese Frage ja vermeintlich klären. Und vielen, vielen anderen Personen. Nicht, weil ich irgendwem Bösartigkeit unterstelle (doch manchen schon), sondern weil es das Miteinander & Verständnis, die Offenheit & das “Über den Tellerrand”-Schauen so viel einfacher machen würde. Und vielleicht würden sich dann regere, kreativere Geister auch an die Lösung dieses dichotomen Sprachproblems machen. Oder es würde allgemein ein kleines bisschen mehr Sensibilität für dessen Wichtigkeit entstehen.
Ich werd ja wohl noch träumen dürfen…

2 Responses to 'Ein Buch mit Q'

  1. Mmmmh, ein Leitspruch lautet doch, dass die Veranlagung, “Bi” zu sein, die Chancen auf eine Verabredung zur Erforschung der “Spaßzonen” ;-) um 100 Prozent erhöht. Also schlicht praktisch ist – um das Thema mal pragmatisch anzugehen. Denn dogmatisch gehen es ja zu viele an. Dabei ist es doch gar nicht so entscheidend, ob Aktivitäten sexueller Art mit einem gleichgeschlechtlichen Partner nun als “bisexuell”, “lesbisch” oder “schwul” benannt werden. In der Antike war das kein Thema und in der (fernen) Zukunft wird es wohl auch keines mehr sein. Wir leben schlicht in einer Zeit, die später mal als die “große Epoche der Prüderie” in die Geschichte eingegangen sein dürfte. Trotz Pille und Minirock. Wir sind schlicht völlig unaufgeklärt. Und das in vielerlei Hinsicht. Fazit: Seid furchtbar und paaret euch, auf das ihr Wohlgefallen findet …

    • DillEmma says:

      Es gibt ooch Theorien, dass jeder Mensch quasi bisexuell zu Welt kommt und sich die sexuelle Orientierung im Laufe der Sozialisierung irgendwie ausprägt. Welche Faktoren dabei eine Rolle spielen, ob in einer heterosexuell geprägten Gesellschaft, dann demnach irgendwo etwas “falsch” geprägt wurde oder der Verbleib beim bisexuellen status quo dann über besonders wenig Einflussnahme oder das Maß an Beratungsresistenz beim Individuum aussagt, dazu jibbet keinerlei Hinweise in jener Theorie. Aber hauptsache es jibt Theorien, die sind ja theoretisch janz praktisch :mrgreen:

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