Manchmal kaufe ich die Bildzeitung …aus Liebe

LesenJa, es ist selten, aber wahr,
Die Liebe treibt seltsame Spiele mit uns…

Von meiner vernagelten Einstellung gegenüber so manch Institutionen & Konzernen sind selbstredend auch diverse Medien betroffen. Nummer Eins unter diesen nimmt logischerweise das ultimative Hassblatt der Deutschen ein – Die Bild Zeitung. Keiner liest sie, jeder weiß, was drin steht – zumindest, wenn man den Werbeparolen der Springer Presse Glauben schenken mag. Ketzerisch, wie ich bin, tat ich das natürlich nie. Vielleicht wog mich auch die peinliche Verschwiegenheit meiner Mitmenschen in Sicherheit. Vielleicht sollte ich mir langsam doch eine gesunde Paranoia gegenüber meiner Umwelt zulegen:

IHR LEST DOCH ALLE DIE BILD! GEBT’S ZU! (Wo wir gerade dabei sind: Am 28. Juni ist Caps Lock Day!)

Meine Blauäugigkeit war schlichtweg überbordend weltfremd. Ungeachtet der hohen Auflage jenes Presse-Erzeugnis, ging ich stets davon aus, die Bild-Zeitung wäre ein sterbendes Überbleibsel des bierseligen Proleten-Stammtisches (Verzeiht, liebe Proleten-Stammtische, die ihr ebenfalls eine Abneigung gegenüber “Blöd” hegt, es ist nicht meine Absicht euch zu kompromittieren).
Bis zur Kollision mit der besseren Hälfte schien ich jedenfalls offensichtlich in einer Art Parallel-Universum der Naivität zu verharren. So wäre ich in meiner allumfassenden Ignoranz nie auf den Gedanken gekommen, dass sich halbwegs intelligente Menschen im nüchternen Zustand tatsächlich in den Zeitungskiosk ihres Vertrauens wagen und dort ganz ohne den vielleicht feigen aber doch wenigstens die Ehre wahrenden Schutz einer Skimaske zur Bild Zeitung greifen. Nicht etwa, um sie zu verbrennen oder weil sie unerwartet von einer heimtückischen wie unaufhaltsamen Diarrhö übermannt worden sind – NEIN! (merkt es euch – der 28. Juni!) – um mit einem unerschütterlichen Selbstverständnis auch noch ihr sauer verdientes, geklautes oder gefundenes Geld dafür auszugeben, in der ernsthaften Absicht in diesem Machwerk zu “lesen”. Und auch das nicht aus lauter Hilflosigkeit als letzte Überlebensmaßnahme vor dem nahenden Langeweile-Tod im Wartezimmer einer Arztpraxis, oder weil man versehentlich beim Nebenmann in der U-Bahn eine Schlagzeile streifte und die Fassungslosigkeit über primitive bis falsche Darstellung einen nicht mehr wegschauen lässt.

Als ich dieses zunächst überaus verstörende Verhalten zum allerersten Mal, am mir zu diesem Zeitpunkt schon so ans Herz gewachsenen und doch augenscheinlich gesund, aufgeklärt und normal wirkenden Menschen, wahrnahm, war ich ebenso erschüttert wie verunsichert. Was macht mensch denn da? Den Notarzt rufen? Amnesty International? Nach der versteckten Kamera linsen? Oder die Beine in die Hand nehmen, bevor sich aus der knospenden Zuneigung noch Liebe zu einem Bild-Leser entwickelt? Während das Gedanken-Karussell schwindelerregende Kapriolen schlug, wurde auch ich ertappt. Offensichtlich war meine geistige Verwirrung bis außerhalb meiner Körpergrenzen spürbar. Trocken, ja fast lapidar selbstverständlich und ohne danach gefragt worden zu sein, wurde mir eine Erklärung geliefert:

“Der Sportteil”

Ein beeindruckendes Phänomen, dem ich umgehend forsch auf den Grund gehen musste. Stimmten womöglich die Mythen der Verblödung, welche sich als kalkulierbare Nebenwirkungen um die Lektüre dieser Zeitung rankten gar nicht? Kann man trotz allem ruhigen Gewissens schlafen, auch wenn man dem Springer-Konzern ausgerechnet für dieses Produkt Geld in den Rachen wirft und damit ungeahnte Projekte zur mentalen Beeinflussung einer gesamten Gesellschaft einfach mitfinanziert? Und was das wichtigste ist: Wie trägt man das erworbene Produkt so in die eigenen vier Wände, dass keine Menschenseele Wind davon bekommt und man womöglich für immer gebrandmarkt ist, um sich anschließend in heimischer Umgebung schamhaft dem Studium der “exklusiven Einblicke hinter die Kulissen des Fussballs sowie einzigartiger Bilder” (Paraphrasierte Detailbegründung des Befragten, aus dem Gedächtnis zitiert – Ja, schau Gutti, so wird’s gemacht) zu widmen? Gerade die Antwort auf die letzte Frage, wird Sie erschüttern, meine Damen und Herren:

Man kann die Bild-Zeitung öffentlich lesen!

Also “man” ist vielleicht großspurig dahergesagt, zudem bedarf diese Sache, so man es denn überhaupt will, zum einen einer gewissen Übung, zum anderen einer gehörigen Portion Mut. Mit genug Selbstbewusstsein und Vertrauen in die eigene Gehirnschmalz-Kompetenz geht das aber scheinbar, ohne weitere Schäden davonzutragen. Beeindruckend! Sogleich erhielt ich ungewollt meine erste Übungslektion und musste mich auf offenem Terrain damit arrangieren, dass der damals potenzielle Anwärter auf die zu belegende Stelle “bessere Hälfte” (später auch bekannt als der “Zwilling vom Schwager”), meinen Argwohn in seine Fähigkeiten als Bewerber um die ausgeschriebene Position unbeirrt weiter schürte. Wir gingen in den Park und er fläzte sich versonnen unter einen Baum, um zu tun, was ich trotz aller Zweifel bis zu diesem Zeitpunkt immer noch für unmöglich hielt:
Er las!
Ich beobachtete die skurrile Szenerie aus gebührendem Abstand, wollte keineswegs mit derartigen Schweinereien in Verbindung gebracht werden. Dennoch war ich beeindruckt. Dieses Ereignis liegt nun schon Jahre zurück und ehrlich gesagt, ist es mir selbst immer noch unmöglich, selbstständig solcherlei Machtdemonstrationen gegenüber gesellschaftlichen Normen und Werten durchzuführen. Aber, nicht ohne eine Mischung aus tiefster Scham und höchstem Stolz, kann ich behaupten:

Auch ich habe mittlerweile schon dieses Schmierblatt gekauft

Die zu diesem Zeitpunkt schon als Schwagers Zwilling anerkannte Person, wähnte sich im Zustand einer schweren Krankheit und es war Sonntag, jener Tag, wie ich mittlerweile weiß, an dem der Sportteil wahrhaft ausgeprägt und lohnenswert ist (also für Menschen zu denen sich die Unendliche Weite des Internets noch nicht herumgesprochen hat oder die immer noch im Glauben verharren “Internet? Dat setzt sich eh nich durch“). Also beschloss ich, nicht ohne alle erdenklichen sicherheitstechnischen Vorkehrungen zu treffen, mich in die Schlacht zu begeben und ihm ein solches Exemplar zu besorgen. Gut ausgerüstet und mit blickdichtem Rucksack und genau abgezähltem Kleingeld ausgestattet (eine solch heikle Übergabe muss schließlich möglich schnell und unauffällig vonstatten gehen) suchte ich einen Kiosk in nicht allzu bevölkerungsreicher Gegend auf wartete, bis darin und auf den Straßen darum keine Menschenseele außer dem Kioskverkäufer in Sichtweite waren, die diesem folgenden Spektakel beiwohnen könnten. Erleichternd trug dazu bei, dass ich mich in einer Stadt aufhielt, in welcher sich mein soziales Umfeld auf recht wenige menschliche Kontakte beschränkte – ich war in Hamburg, dem damaligen Wohnort der besseren Hälfte und nicht daheim in Berlin. Dieser Fakt ist in soweit wichtig, da er neben der “Menschen, die einen kennen könnten” Problematik auch noch ein anderes gewichtiges Kaufkriterium berührt:

<h2>BILD kauft “man” nur in Hamburg</h2>

Weil in Berlin ist im Sportteil gar kein HSV-Klatsch. Seit dem Umzug hat sich daher das Bild-Zeitung Problem quasi völlig in Luft aufgelöst. Und der Hamburger Freundeskreis hat ein immer gern gesehenes billiges Mitbringsel fürs Hälften-Besserli.

So nun ist es raus – ich fühl mich erleichtert und kann nun auch Phänomene wie Ablasshandel und kirchliche Beichte viel besser nachvollziehen. Aber warum lasse ich überhaupt Licht auf diesen düsteren Fleck meines ach-so reinen Selbst fallen?

Schuld ist das Thema der Frau Doktor Doktor Fellmonster

“Mein peinlichstes Buch”… eine Schmonzette, oder eine Berlusconi-Biographie oder… ein B*ckbuch.. so was eben..

Vielen Dank! Ich fühle mich geläutert, erleichtert und geheilt!

2 Responses to 'Manchmal kaufe ich die Bildzeitung …aus Liebe'

  1. Sehnesich says:

    jeweent hatter, der Axel sein Erbe, durfter mir keene Zeitung für jeschenkt nach innen Kasten stecken, schon musste n Brief mit A4 und roten Umschlag her, ob ick mir dit nich doch überlegen will und nachträglich nich doch wat umsonst haben will, janz traurig sindse und keener will mehr springern und Axel sein corpus is am rotieren
    soller sach ick da, soller

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  1. [...] schwer gegen literarische Ignoranz und ästhetische Intoleranz. Beispielsweise mit den sich stets aufbäumenden Vorurteilen gegenüber Bildleser_innen. Doch im Laufe der Jahre und bösen Überraschungen musste ich meine pauschale Meinung zu den [...]

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