Nationalsozialismus, Faschismus oder schlicht Holocaust?

LesenEine ordentliche Portion Durchgeknalltheit wirkt hauptsächlich bei jenen Menschen interessant, wo die Verrücktheit lediglich schillernde Oberfläche eines vielschichtigen Nährbodens ist. Boah! *sülz* – ich scheine ein echtes Problem damit zu haben, gerade heraus zu sagen: “Dit Fellmonster is knorke. Mir jefällt die Mischung aus Intelligenz und Blödelei.” Na siehste, war das nun so schwer? Muss man immer alles so verklausulieren? Näheprobleme oder lediglich ein Einstimmen auf die Ernsthaftigkeit folgender Problematik der Bücherwoche 26?

Dichtung und Wahrheit - Holocaust in der Literatur

X-Files: The Truth is out there ...oder irgendwo dazwischen

Es ist aber wirklich auch kein einfaches Thema. Nicht nur, dass Unmengen Literatur der unterschiedlichsten Sorte dazu existiert – vom Erfahrungsbericht, unzähligen Biografien, sowohl von Tätern wie Opfern als auch von denen, welche eine Art Mischwesen sind oder sein wollen, über geschichtliche wie politische Auseinandersetzung und wissenschaftliche Analyse zur Entstehung und Verlauf jener nicht so leicht fassbaren Zeit (emotional wie literarisch) bishin zu fiktiver Literatur, die sich dem Thema auf völlig neue Art nähert und damit überwiegend Versuch ist, das nicht wirklich fassbare oder durch vielerlei Tabu ungreifbar gestaltete Thema zu durchdringen. Die Rede ist, man ahnt es schon vom

Nationalsozialismus

Ich bin in vielerlei Hinsicht dieser sehr unkonkreten bis falschen Selbstbezeichnung abgeneigt, dessen Praktiken so wenig mit Sozialismus, auch nicht auf nationaler bzw. “völkischer” Ebene, zu tun hatten. Es bieten sich leider kaum hilfreichere Titel an, die alle Phänomene und Abgründe jener Zeit unter einen Terminus zusammen fassen. Selbst die Shoa, welche sicherlich größtes Symptom jener Zeit darstellt, ist zu kurz gegriffen, gegenüber den Vorgängen, welche da mit anderen Bevölkerungsgruppen auf Opfer- & Täterseite abliefen. Der Holocaust, als nicht auf die Juden beschränkter Begriff (anders als bei dem spezifischeren Ausdruck “Shoah“) für Völkermord, scheint mir daher irgendwie angemessener, wenn natürlich auch nicht allumfassend. Faschismus vielleicht …aber der referenziert ja auch schon wieder weiter.

Eine Auswahl aus diesem manchmal schon abschreckend riesigen Berg an Literatur zu jener an sich schon erschreckenden Zeit zu treffen, kann also nur unzureichend sein. Allerdings wird das ja auch irgendwie wieder durch die bunte Mischung der anderen Beiträge im Projekt einigermaßen relativiert.
Ich möchte mich dem Thema von zwei Seiten nähern:

Die Täter-Perspektive

Auch wenn es die ewige Streitfrage ist, ob man den Tätern von je her nicht mehr bis zuviel Beachtung gegenüber den Opfern schenkt, so halte ich diesen Blick persönlich für einen wichtigen. Er hilft, sich mit eigenen Unzulänglichkeiten in den Dialog zu begeben, zu verstehen, wie solche Mordmaschinerien in Gang kommen können und damit auch, stets wachsam zu sein, um nicht arglos solche Zeiten, Verhaltensweisen und menschliche Abgründe zu reproduzieren.
Natürlich gestaltet sich die Täter-Definition bei einem solchen Massenphänomen auch als eine unheimlich facettenreiche. Fast könnte man die nationalsozialistische Mordmaschinerie mit einem großen Konzern vergleichen, jeder Mitarbeiter, Kunde, Zulieferer und Aktieninhaber trägt seinen Teil der Verantwortung, hat mal mehr oder weniger Einblick in die Abläufe, trägt aber zum Funktionieren des Großen Ganzen maßgeblich bei. Natürlich ist in einer solchen Struktur jeder Mitarbeiter potentiell ersetzbar, die Weigerungshaltung eines Einzelnen, wird also nicht zum Konkurs der Firma beitragen, zudem möchte auch keiner der Arbeitslosigkeit anheim fallen, gibt daher sein Bestes oder versucht sogar innerhalb der Strukturen aufzusteigen. Der Vergleich ist natürlich arg vereinfacht, aber er strukturiert immerhin minimal unterschiedliche Dimensionen von Schuld. Außerhalb des Unternehmen selbst sowie innerhalb vom Firmeninhaber, über die Chefetage, Managements-Ebene bis hin zum kleinen Angestellten oder gar dem Saboteur. Weiterhin gibt er wenigstens einige Motive preis, für die Mittäterschaft in einem solch perfiden Konstrukt.

Hitler privat

"Monologe aus dem Führerhauptquartier" - Eine Einsicht in die obere Führungsetage

Heinrich Heim, Adjutant des Reichsleiter Martin Bormann zeichnete (heimlich?) die allabendlichen Monologe auf, welche Hitler vor seinen engen Vertrauten in kleiner Runde und privatem Ton zum Besten gab. Es ist keine wortwörtliche Mitschrift sondern ein gekürztes Gedächtnisprotokoll, welches sicherlich auch positiv eingefärbt sein kann durch persönliche Bewunderung oder vorauseilendem Gehorsam. Man weiß es nicht. Dennoch bieten diese Monologe einen interessanten Einblick ins Persönlichkeitsprofil des gefährlich charismatischen Menschen hinter der Medienfigur. Damals wie heute wurde war die Person Hitler selbst lediglich durch die öffentliche Darstellung fassbar, ob nun zeitlebens inszeniert oder im Nachhinein betrachtet. Bis zur Lektüre dieses Werkes war mir das erstaunlicherweise kaum bewusst. Aus dem Blickwinkel der heutigen Zeit erscheint es einem bei gesundem Menschenverstand ja eigentlich unverständlich, dass dieser winzige Hampelmann, mit seinem Geschrei tatsächlich die Massen begeistert haben könnte. Die vertraulichen Reden zeigen jedoch einen durchaus belesenen Mann mit teilweise wahnwitzigen, aber auch interessanten Ideen und Weltansichten. Ich möchte diesen Menschen hier keineswegs schönreden, dass da ganz schön was quer lief in diesem Kopf, wird durchaus auch in jenen überwiegend unpolitischen oder zumindest vom Kriegsalltag losgelösten Schilderungen ziemlich schnell bewusst. Eine unvoreingenommene Auseinandersetzung mit diesen privaten Gesprächen lässt jedoch zumindest im Ansatz Verständnis für eine gewisse Faszination aufkommen.

Die Opfer-Perspektive

Einen meiner liebsten Romane überhaupt und eben auch in Hinsicht auf den Nationalsozialismus schrieb Edgar Hilsenrath mit

Edgar Hilsenrath: Nazi & Friseur

Der Nazi und sein Friseur

Dass ich gerade diesen Roman unter der Opferperspektive vorstelle, sollte keineswegs falsch interpretiert werden. Das lyrische Ich ist ganz klar Täter – und was für einer: KZ-Aufseher, Massenmörder & SS-Sturmführer Max Schulz, der überdies seinen besten Freund aus Schulzeiten Itzig Finkelstein und dessen Eltern später im Zuge seines “Berufs” gewissenlos hinrichtet. Das perfide an der Sache ist, dass die Finkelsteins ihm in Kinderzeiten sicher mehr Familie waren als die eigene Mutter, eine Prostituierte und der prügelnde Stiefvater. Überboten wird diese Kaltblütigkeit lediglich von dem Umstand, dass Max nach der Niederlage Deutschlands auch noch die Identität seines ehemals besten Freundes annimmt und nach Palästina reist, um dort ein neues, jüdisches Leben zu beginnen.

deutsch-jüdischer Schriftsteller

Edgar Hilsenrath

Der Roman ist purer Wahnsinn. Edgar Hilsenrath, deutsch-jüdischer Schriftsteller, der im Alter von 12 aus Nazideutschland nach Rumänien floh, nach der Besetzung ins Ghetto verschleppt wurde, bis dieses von der Roten Armee befreit wurde, setzt sich auf eine denkwürdige Art & Weise mit den Schatten seiner eigenen Vergangenheit auseinander. Das Opfer schwingt sich literarisch zum Täter auf, beide Identitäten vermischen sich im Laufe des Romans in einem überforderten Geist. Die Geschichte steckt so voller Sarkasmus, Ironie und Brutalität, dass man sich des Öfteren bei einem fassungslosen oder befreienden Lachen ertappt, sich jedoch gleich wieder, ganz deutsch fragt, ob man das dürfe. So versetzt Hilsenrath den Leser gekonnt in einen grotesken Geisteszustand der Beklemmung und Verwirrung, der vielleicht im Ansatz das Gefühlschaos, welches die Zeit der Nationalsozialisten in Tätern und Opfern auslöste und hinterließ, spüren lässt. Eine wirklich gelungene, unterhaltsame und in mancher Hinsicht heilsame Auseinandersetzung mit den Nachwehen des Faschismus.

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