Rezension – Adams Erbe

Lesen nach AlphabetWie ich bereits im letzten Beitrag des Projekts 52 Bücher – Reloaded andeutete, lag mir das hier zu besprechende Werk noch einige Zeit nach der Lektüre schwer im Magen.
Das ist an und für sich verständlich, handelt es sich (im weitesten Sinne?) doch um Shoah-Literatur. Es möge mir bitte verziehen sein, dass ich nicht weiß, ob “im weitesten Sinne” oder ob es sich doch um einen ganz konkreten Fall von Holocaust-Literatur handelt. Es ist wohl beides der Fall, denn der eigentliche Erzählrahmen reicht hinein bis in unser neues Jahrtausend. Hier treffen sich zwei Erzählebenen. Bis hier erstrecken sich die Schatten der Vergangenheit auf die Erben einer kaum kommunizierten Geschichte.

Doch nicht nur die Erzählebenen bereiteten mir Kopfzerbrechen. Auch der Umstand, dass es eigentlich nie wirklich explizit um die unmenschliche Mordmaschinerie, die von Menschen in Gang gebracht, gehalten und letztendlich auch zerstört wurde geht. Es geht vielmehr um die Menschlichkeit darin oder auch um den Verlust und das Bewahren derselben. Um die Liebe, die Kindheit und das Leben. Der eigentlich fehlende Fokus und die teils überpräsente Nonchalance vieler Handlungsträger_innen entzieht sich dem oft üblichen tragischen Fokus und drückt ihn zeitgleich umso intensiver und tiefer in jenen Wahnsinn.

Astrid Rosenfeld – Adams Erbe

Adams Erbe ist eine Art Generationenroman. Nicht im herkömmlichen Sinne, aber die Lesenden lernen aus vier Generationen so ziemlich jedes Mitglied der Familie Cohen sowie auch einige Hausfreunde der Familienmitglieder kennen, lieben oder hassen. Wo mir sonst, ob der Menschenmassen der Kopf schwirrt, plätschert diese Familiengeschichte mit einer scheinbaren Leichtigkeit ins Hirn, dass ich mich nach wenigen Seiten bereits fast schon wie zu Hause fühlte.

Der Roman von Astrid Rosenfeld ist in drei Bücher geteilt. Die ersten beiden Bücher erzählen zunächst völlig andere Geschichten. Aus der Perspektive zweier gänzlich unterschiedlichen Protagonisten. In zwei absolut nicht vergleichbaren Zeiten.
Die eigentliche Erzählzeit ist das Hier & Jetzt. Der eigentliche Erzähler ist ein gewisser Edward Cohen. Ed wohnt mit seiner Mutter, dem Feindbild einer jeden Feministin, wie er sie betitelt, bei seinen Großeltern. Sein Vater ist ein gewisser Gören oder auch Sören aus Norwegen oder Schweden oder Dänemark. Das weiß eigentlich keiner mehr so genau. Zunächst scheint es lediglich die Geschichte einer recht außergewöhnlichen Jugend. Manche könnten oder würden die Umstände in denen Edward aufwächst womöglich als ‘asozial’ betiteln. Seine Großmutter würde sicherlich zu einigen Zeiten jene Wortwahl bevorzugen. Für Edward ist es bis zu einem gewissen Punkt der Himmel auf Erden: Die erste Zigarette mit sieben Jahren, lange Zeit um die Schulpflicht herumgekommen, ein unsichtbares Band, welches ihn auf einzigartige Weise mit seiner Mutter verbindet sowie die zwei einzigen Götter seines Lebens: “Der einzige Gott seines Großvaters” und “Der einzige Gott der Elefanten”, welcher nebenbei starke Ähnlichkeiten zu Elvis Presley aufweist. Was braucht ein Kind mehr, um glücklich zu sein? Nun, eine eigene Identität vielleicht. Edwards Leben ist großen Umwälzungen ausgesetzt, so wandelt sich sein Name mit jedem neuen Lebensabschnitt sowie vor jedem Menschen mit dem er näher in Kontakt ist. Edward ist wie ein Flickenteppich und einer dieser Flicken ist Adam, dessen Gesichtszüge er geerbt zu haben scheint. Adam ist der zur Zeit der Shoah verschollene Bruder von Edwards Großvater. Über Adam wird nicht geredet, höchstens geflucht und gezischelt. An Adam zerbricht der Großvater eines Tages. An Adam zerbrach einst schon die Familie Cohen. Auch diese unterschwellig mitschwingende Schuld erbt der Träger von Adams Gesicht. Eines Tages treffen sich die Geschichten von Edward und Adam auf dem Dachboden der Cohens. Edward findet die Aufzeichnungen seines Großonkels und kann seine Familiengeschichte wie auch seine eigene Geschichte um einige Puzzleteile ergänzen.

Eine Art Fazit

Ich habe das Werk komplett ohne Vorwissen, Rezensionen oder Klappentexte begonnen und musste mich daher in beide Realitäten erst schlagartig unvorbereitet einfinden. Die Art in welcher Astrid Rosenfeld jedoch ihren Figuren Leben einhaucht, gestaltet das Eintauchen in den Roman eher in ein Hineingesogen-Werden. Selten habe ich derart viele Hauptcharaktere & Randfiguren so überaus plastisch aus einem Buch herauslesen können. Ich tendiere normalerweise vielmehr dazu, mich an einige wenige wichtige Personen zu klammern und den Rest eben als notwendiges Beiwerk, welches die Handlung voranbringt oder ausschmückt, billigend hinzunehmen. In Adams Erbe hingegen beeindruckten mich zahlreiche Nebencharaktere fast mehr als die Protagonisten. Ich wollte, völlig untypisch für mein sonstiges ignorantes Dasein, mehr von ihnen wissen und lesen. Möglichst einen eigenen Roman zu Edda oder der Nilpferdfrau, bitte! Besonders die weiblichen Figuren des Romans haben es mir unheimlich angetan. Rosenfeld zeichnet “echte Typen” oder vor allem “Typinnen”. Doch auch einige unbedarften Schilderungen aus dem Warschauer Ghetto, aus der Perspektive eines Kindes, das in Gefangenschaft geboren, niemals eine andere Realität als den irrealen Alltag des jüdischen “Wohnbezirks” kennenlernte, ließ für mich Geschichte noch einmal von einer ganz anderen, naiv begrenzten Seite wahrnehmen, welche die Mauern & Unfassbarkeiten so dermaßen plastisch aufleben ließ, dass es mir kurz den Boden unter den Füßen wegzog. Rosenfeld setzt die schlichten Kindergemüter einige Male aus unterschiedlichsten Perspektiven ein und trifft gerade an diesen Stellen wirklich kunstvoll ins Gemüt der Lesenden.
Ein außergewöhnlich mitreissender Debütroman.

2 Responses to 'Rezension – Adams Erbe'

  1. Der eigentlich fehlende Fokus und die teils überpräsente Nonchalance vieler Handlungsträger_innen entzieht sich dem oft üblichen tragischen Fokus und drückt ihn zeitgleich umso intensiver und tiefer in jenen Wahnsinn. Das hast DU großartig ge- und beschrieben. Chapeau! Und ich denke es ist völlig normal, wenn ein solches Buch noch lange in einem nachhallt. Anders wäre es schlimmer …

    Viel Erfolg beim Umzug und bei der Gesundung!

    • DillEmma says:

      Danke, danke, lieber Dunkelschlumpf. Ick tu mir ja schwer beim Huldigen – da komm ick mir immer so wönzig und unjelenk bei vor :)

      Mal nebenbei mit Konfetti bewerf für Tach Acht

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