Krankhafte Empathie – Die Unfähigkeit zum Hass

LesenManchmal wünsche ich mir einen symbolischen Nussknacker oder einen nussigen Symbolknacker, genaueres weiß ich nicht. Jedenfalls materialisierte sich dieser Wunsch zunehmend, nachdem ich nun schon über eine Woche gefühlt ununterbrochen darüber sinniere, ob ich einfach nur unfähig für solch tiefe Gefühle wie Hass bin, oder mein Vorhaben zur vollständigen Abkehr von der Menschheit, jene Mutation zum perfekten Misanthropen lediglich an einer pathologischen Empathie scheitert.

Das Thema, der 40.Bücherwoche
Dein Hasscharakter (im Sinne von: unnachvollziehbare Handlungen)
warf mich jedenfalls vorerst sowohl im Projekt 52. Bücher zurück als auch letztendlich menschlich wie tiefenpsychologisch vollends aus der Bahn. Selbstzweifel malträtierten meinen ideelen Selbstentwurf vom Menschenfeind. Der Hypochonder in mir bescheinigte sich selbst ad hoc ein gestörtes Verhältnis zwischen Identifikation & Abgrenzung, eine Art reziprok narzisstischen Komplex. Anschließend verordnete er jedoch sogleich ein Rezept für wunderbar wattige Psychopharmaka angerichtet auf einem Blaubeer-Soßenspiegel mit fluffigen Knödeln.
Derart allein gelassen zwischen all den herrlichen wie hasserfüllten Rezensionen der Mitstreiter_innen, kroch letztendlich doch das schmerzlich vermisste Gefühl empor. Rückblickend erklomm es bei Sabienes wahrhaft verachtenswert gekonnter Infragestellung diverser Prinzipien eines Romans aus der zweiten Phase des modernen Feminismus mein lymbisches System.

Liebe & Hass – Das alte Seemanns-Lied vom Ozean der Gefühle

Bewunderung liegt eben derart spürbar nah am Neid. Angekommen im negativen Gefühlsspektrum, muss sich doch auch irgendwo der Hass verstecken. Beim Tauchen durch dieses Gefühlschaos schlummerte erleuchtend das alte Prinzip von Ying & Yang. Sprücheklopfer-Weisheiten bemächtigten sich meiner Erkenntniswelt und schlug mir wieder einmal vorwurfsvoll auf den ignoranten Hinterkopf.

Nur aus echter Liebe entspringt wirklicher Hass

Diese nicht nur überholte, sondern auch sicher etwas überzogene Philosophie bewahrheitet sich jedoch immer wieder. Dabei spielt nicht nur das abgegriffene Schema eine Rolle, bei welchem nahestehende Personen einen verständlicherweise am tiefsten verletzen können:
Einmal aus der emotionalen Deckung herausgetreten und den Panzer voller Zuversicht abgelegt, sitzt der Stich ins Herz schlichtweg umso tiefer. Leicht verständlich, dass hier Ärger über die eigene Naivität, gekränkter Stolz & verletzte Kämpferehre zum Hass auf jene einstig geliebte Angreifer gebündelt wird.
Doch schon allein die Angst vor dem Verlust geliebter Wesen oder gar materiellen Gutes bzw. Privilegien kann einen quasi “vorauseilenden Hass” provozieren:
Die politische Nutzbarkeit jener explosive Gefühlsmischung aus Angst & Hass wird schon seit jeher zum Machtinstrument stilisiert. Billige Klischees von bösen Fremden, die einem den Job klauen könnten bis hin zum perfiden Spiel mit der Angst um das eigene Kind sind immerhin keineswegs Erfindungen dubioser “Parteien” von heute, welche mittels “Tod den Kinderschändern”-Plakaten an instiktive bis animalische Schutzbedürfnisse appellieren.
Geschafft! Mittels simpler Plakativität gelingt es doch noch den inneren Misanthropen wachzukitzeln: “Hallo werter Menschenhass, wünsche gut geruht zu haben. Wie sieht’s aus, was sagst du zu literarischer Verachtung? Keine fiktiven Personen? Nichtmal personifizierte Ansammlungen menschlicher Abgründe? Zu unpersönlich? Nun gut, was schlägst du vor?”
Mein innerer Menschenfeind ist ein fauler, verachtenswerter & träger Sack. Also setze ich mich lieber mit meinem Unverständnis hin und plaudere bei einer Partie Autoquartett mit ihm über menschliche Abgründe. Nachdem wir eine tiefgehende gegenseitige Verbindung feststellten insbesondere in puncto Abscheu gegenüber Fahrradfahrern, die man gerade überholt hat, welche sich aber an der nächsten roten Ampel wieder vor einen stellen, widmen wir uns der literarischen Seite. Nach kurzem ratlosem rumstochern, kurz bevor wir uns beide abermals von Selbstzweifeln über zuviel Menschlichkeit & Mitgefühl übermannen lassen, finden wir auch hier doch noch einen gemeinsamen Konsenz.

Rita Mae Brown – “Jacke wie Hose”

rita mae brown - literaturRita Mae Brown war ursprünglich als Autorin und Aktivistin der Frauenbewegung bekannt. Zu wirklicher Berühmtheit gelangte die Mitbegründerin der Radicalesbians allerdings erst durch ein Genre, was in mir tatsächlich arges Unverständnis auslöst: Katzenkrimis. Mit Literatur aus Sicht von Vierbeinern geschrieben kann ich leider generell kaum etwas anfangen. Ich habe es sogar bei einem Werk aus ihrer Feder versucht, da mir andere Bücher der amerikanischen Schriftstellerin überaus zusagten. Ich bin jedoch gnadenlos gescheitert. Da können die Verleger dieses Genre noch so wirr versuchen, schön zu schreiben mit Sätzen wie „Katzen sind Erkennungszeichen lesbischer Krimiautorinnen bzw. -heldinnen, ähnlich wie Kriminalhauptkommissare gerne Pfeife rauchen.“ – ich finde leider keinen Draht zur Erzählperspektive.
Der Roman “Jacke wie Hose” allerdings hat mich auf jeglichen Gefühlsebenen stark bewegt. Kein Krimi aus Katzensicht, sondern eine Art Generationenbildnis um zwei überaus unterschiedliche wie skurrile Schwestern, sowie ihre Wurzeln & Triebe (um bei dieser handelsüblichen Stammbaummetapher zu bleiben). Allein die geschichtliche Zeitspanne, welche die Handlung des Romans zwischen 1909 bis 1980 umfasst, bietet einiges an politischem wie kriegerischem Potenzial für Tragödie & Komödie im gesellschaftlichem Wandel, zwischen Weltkriegen, Aufschwung, Emanzipation & Prohibition. Eine ganze Familie an irren Charakteren, jede wie jeder für sich liebevoll gezeichnet, ja fast schon menschlich plastisch greifbar. Lediglich eine Begebenheit verstörte mich damals beim Lesen zutiefst und scheint immernoch mit meinem zutiefst monogamen Weltbild unvereinbar:
In die bewundernswert schöne Liebesbeziehung zweier nicht nur für diese Zeit außergewöhnlicher Frauen, mischt sich eine dritte Person. Die jüngere der beiden verliebt sich ebenfalls in einen jungen Mann, beginnt ein Verhältnis, kann & will sich nicht zwischen den zwei gleich geliebten Menschen entscheiden. Muss sie auch nicht. Denn auch nachdem dieses brisante Geheimnis ans Licht kommt, reagiert ihre Frau mit einem Verständnis, dass mich einfach fassungslos, nahezu schon neidisch macht. Ein Satz in dieser klärenden Konversation ging mir seitdem nicht mehr aus dem Kopf und selbst jetzt, etwa 15 Jahre später, stehe ich diesem immernoch mit großem Unverständnis oder vielmehr Fassungslosigkeit gegenüber – und man glaube mir, ich möchte begreifen, nicht nur auf rationaler Ebene, sondern eben auf dieser scheinbar erlösenden emotionalen Ebene. Jener lapidare Satz lautete in etwa: “Es ist nicht so, dass sich die Liebe aufteilen ließe auf nun zwei Personen; sie verdoppelt sich – beiden gegenüber”. Mir ist nicht einmal mehr in Erinnerung, wem dieser Ausspruch entspringt, ob “der Betrogenen” oder “der Betrügerin”, um bei gesellschaftlich konventionalisierten  Begrifflichkeiten gängiger Partnerschaftsmodelle zu bleiben. Bei beiden würde die Aussage keineswegs fehl am Platze wirken oder gar kitschig wirken. Das Schlimme daran ist, die gesamte Situation wirkt derart stimmig, unkitschig und würdevoll, dass man als spießiger Normal-Eifersüchtler einfach nur vor Neid und Ehrfurcht erblassen könnte. Dennochbleibt der fade Nachgeschmack durch Sozialisierung oder was auch immer ich an diesem Unverständnis die Schuld geben möchte.

6 Responses to 'Krankhafte Empathie – Die Unfähigkeit zum Hass'

  1. Sabienes says:

    Interessant, mit welchen Aussagen ich dein lymbisches System getroffen haben soll und ich bin mir noch gar nicht so sicher, ob das gut oder schlecht sein soll.
    “Jacke wie Hose” habe ich auch gelesen. Und auch wenn ich die Katzenkrimis von Rita Mae Brown meistens mag, fand ich ihre Bücher aus dieser Zeit viel, viel interessanter.
    Vielleicht ist sie nun altersmilde geworden oder braucht das Geld, dass sie nun Krimis schreiben muss, wer weiß.
    Aber irgendwie hat sie sich doch ganz schön die Flügel stutzen lassen.
    LG
    Sabienes

    • DillEmma says:

      In jedem Falle positiv. Mein Umgang mit Komplimenten ist lediglich beidseitig minimal gestört, sowohl was Verteilen von Lob, als auch Empfangen davon betrifft. Ich übe aber fleißig und beim nächsten Mal sieht’s sicher schon weitaus besser aus ;)

      Seit einem kurzfristigen Arbeitsausflug in die Welt der Verlage bin ich recht überzeugt davon, dass Katzenkrimis tatsächlich leider einzig der Maximierung potenzieller Zielgruppen dienen. Es scheint recht egal zu sein, was wirklich in diesen Büchern steht und auch welchen literarischen Gehalt sie haben, sie verkaufen sich schlichtweg besser. Bei durchschnittlichen Autoren ist mir eine solche Intention ziemlich egal, aber je höher das eigentliche Potenzial eines Schreiberlings ist, desto übler nehme ich derartige Maßnahmen. Natürlich ist die Argumentation, dass man auf diese Weise brisante Inhalte auch einem Publikum zugänglich macht, welches sich vielleicht ohne dieses Setting niemals damit auseinander gesetzt hätte, eine bestechende Sichtweise, aber ich fühle mich ausgeschlossen, weil ich mit derartigem literarischen Stoff einfach nicht zurande komme. :p

  2. Ralph says:

    Nun, wie kommentiere ich diesen (erneut) fabelhaften Artikel auf eine halbwegs angemessene Art? Am besten liegt mir sicher Widerspruch^^ – daher starte ich direkt mit einer Anmerkung zur Überschrift: Krankhafte Emphatie ist bei weitem nicht DIE Möglichkeit, keinen Hass empfinden zu können. Ich setze da auf die wahrscheinlich häufiger vorkommende Gleichgültigkeit (den (anderen) Menschen) gegenüber. Menschen setze ich in Klammern, denn pathologisch empathisch sind selbst Misanthropen stets dann, wenn es Tieren an den Kragen geht. Die Klammer bei “anderen” erklärt sich von selbst. Das Klammern an anderen Menschen hingegen nicht – eine geniale Brücke zur Rita, oder?

    Und zu DEM Satz möchte ich, auch nicht Klischeehaft, nur hinzufügen: Geteilte Freude ist doppelte Freude. Es ist das gleiche Prinzip …

    Herzliche Grüße vom “komischen Kauz” *tippel*

  3. DillEmma says:

    Der Widerspruch kleidet dich wie immer hervorragend. Ich wollte es keineswegs generalisieren, oder gar als “DIE” Möglichkeit stilisieren. Prinzipiell ist hier vielmehr ein ganz persönlicher Makel freigeschaufelt worden, zuviel Verständnis oder zumindest der Versuch hinter die diversen Sinnlosigkeiten & Verachtenswertheitungnissen menschlichen Daseins zu steigen.

    Ich hoffe, du nimmst keinen Anstoß am Käuzlein …es schimmert ein wenig durch die subtile Wiederholung :p Dabei ist es doch, ähnlich dem Spoguffel, eine Art Auszeichnung und durchaus positiv zu verstehen.

  4. Ralph says:

    Wie könnte ich an einem bloßen Kauz Anstoß nehmen? In Verbindung mit “komisch” sieht die Sache aber schon wieder anders aus *zwinker-Smiley* Nein, besser ein komischer Kauz als gar kein Vogel – oder so. Aber was bitte ist ein Spoguffel? Sicher wieder so eine Berliner Pflanze …

    • DillEmma says:

      also den Spoguffel habe ich einem Sprecher zwischen Lübeck und Hamburg geklaut – es ist damit wohl kein Ur-Berliner Gewächs, wird sich aber sicher aufgrund fehlender natürlicher Fressfeinde in seiner neuen Umgebung rasant ausbreiten und das hiesige ökologische Sprachgleichgewicht hoffentlich nachhaltig & tiefgreifend schwerstens schädigen (mein persönlicher Beitrag gegen dialektale Ausgrenzung und merkwürdige Diskurse zu Spracherhalt und Sprachverfall :D )

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