Russische Versöhnung literarischer Art

LesenUrsprünglich hatte ich eine chronologische Aufholjagd zu Miss Puscheligkeits 52 Büchern geplant. Neben der Tatsache, dass dies sicher nicht unbedingt im Sinne einer Chaotin sei, hat mich auch schlicht das Thema der Bücherwoche 5 schon mehrmals beim Blick in die Themenliste überaus gereizt.

Russische (und was so drumherum liegt) Literatur

Lange Zeit stand ich mit der russischen Sprache auf Kriegsfuß. Eine monströse krötengeneralige Lehrerin hatte mir von Anfang an jeglichen Zugang und Spaß an jener wunderschönen Sprache genommen. Jegliche Erinnerung an ihren Unterricht sind tiefschwarz gefärbt und beladen mit Angst. Allerdings hatte ich vor lauter emotionaler Überlastung erste außerkörperliche Erfahrungen in den Russischstunden und schwebte über meinen Mitschülern – ein bauchkribbeliges schönes Gefühl…

Russischunterricht

Nahtoderfahrungen im Russischunterricht

Die Versöhnung mit dem Russischen fand dann schrittweise statt. Der letzte Schritt auf diesem Wege war das Latinum, in welchem ich ein Jahrzehnt später grundlegend endlich verstand, WAS meine Russischlehrerin eigentlich all die Jahre von mir wollte. Beim ersten Schritt schubste mich jedoch der werte Fjodor Dostojewsky auf den Pfad der Erkenntnis, dass diese Sprache in ihrem Facettenreichtum sowie ihrer Verspieltheit (ganz zu schweigen vom melodischen Klang, auch wenn dieser gelesen ja nicht so rüberkommt) ganz klar für mich zu den schönsten und eindruckvollsten Sprachen gehört.

Fjodor Dostojewski

Dickes Danke an einen großen Dichter

Das Werk, welches meine Liebe wieder entflammte, ist der großartige Roman

Die Gebrüder Karamasow

Die eigentliche Story, welche eine Mischung aus Kriminalroman und Familiendrama darstellt, handelt, wie der Titel schon recht unterschwellig impliziert, von den Gebrüdern Karamasow. Aljoscha, der Geistliche, welcher durch Dostojewsky im Vorwort zum Protagonisten erklärt wird (wobei seine Bedenken, ob jener dieser Rolle beim Leser auch gerecht wird, meines Erachtens nach durchaus begründet sind). Ivan, der weltliche Gegenpart, ein atheistischer Intellektueller. Dmitri, jener edle Geradlinige, aber auch irgendwie am animalischsten gezeichnete Bruder, der älteste dieser drei, welcher die Laufnahm eines Soldaten einschlug und möglicherweise auch der geistig und körperlich eingeschränkte Pawel Smerdjakow, bei welchem die Vermutung im Raum steht, der uneheliche Sohn des Vaters der Brüder zu sein. Fjodor Pawlowitsch Karamasow, der Erzeuger jener Brüder ist ein personifizierter Sündenkatalog er säuft, hurt herum, zockt, pöbelt und schiebt seine Kinder ab. Aber irgendwie schimmert auch da ein gutes Herz durch. Der einzige nicht offizielle Sohn lebt immerhin, wenn auch als Knecht auf seinem Gut sowie unter dessem Schutz. Sein Verhältnis zu Alexey ist auch von einer besonderen Wärme gekennzeichnet, was vielleicht auch widerum an der unglaublichen Menschlichkeit des Jüngsten liegt. Seinem Ältesten versucht er jedoch die Liebste auszuspannen und mit Geld an sich zu binden, wahrhaft unfein und macht den guten Dmitri verständlicherweise auch rasend vor Eifersucht. Das ganze eskaliert dann “ein wenig” und der Soldat, macht sich auf seinen Vater zu Töten, besinnt sich aber noch im rechten Moment, flieht und erschlägt dabei eher versehentlich den Diener. Die Gewissensbisse treiben ihn fast in den Selbstmord und zu allem Überfluss wird Fjodor in der selben Nacht von Pawel umgebracht.

Dies ist jedoch prinzipiell nur der Anfang einer Geschichte voller Wirrungen, Gerichtsirrtümer, Schuld und Fragen zum freien Handeln, Gut & Böse.

Der Roman ist einfach unfassbar menschlich geschrieben. Die extremen Gefühlszustände in denen sich die Protagonisten befinden, sind wahrhaft meisterlich gezeichnet. Die klaren Charaktere treffen die Zweifel am eigenen Tun und Fühlen meist unvorbereitet und reißen sie hinab in tiefe Strömungen. Jene, die von vornherein nichts klar sehen und stets alles Handeln und dessen Sinn wie Unsinn an sich und den anderen Hinterfragen, strahlen eine bewundernswerte Ruhe in diesem haarsträubenden Treiben aus.

Die vielen Nebenstränge, Landschaftsbeschreibungen, Gleichnisartigen Geschichten, welche die verschiedenen Weltanschauungen und Fragen ans Leben beleuchten sowie die zahlreichen Rückblenden fressen die Konzentration des Lesers komplett, ermöglichen zum einen ein umfassendes Eintauchen in die Welt der Brüder und den Zwiespalt von weltlichen, theologischen und aufklärerischen Theorien – zum anderen verwirren sie wahrhaft passend zu den Fragen, welche das Werk an generelle und immer noch hochaktuelle Themen des menschlichen Daseins stellt.

Weltliteratur ist ja oft ein übersinnlich anmutender Begriff und bei manchen Werken durchaus fraglich angewendet. Der gute Dostojewsky aber, ist ganz sicher in den Reihen der Großen perfekt platziert.

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