Rostock Lichtenhagen – 20 Jahre danach

Dem Land zwischen Verdrängung und Gedenken steht diesen Sommer ein Jubiläum ins Haus, welchem in meiner Wahrnehmung und Medienrezeption bisher noch kaum wirkliche Beachtung gezollt wurde. Um ganz ehrlich zu sein (ver)stört mich dieses hartnäckige Schweigen und der fehlende Wille zur Auseinandersetzung ein wenig.

Der Sommer 1992 stand im Zeichen von erneut aufflammendem Rassismus, welcher nicht einzig in irgendwelchen ewig-gestrigen Köpfen kleinerer Randgruppierungen rumspukte, sondern sich vielerorts in pogromartigen Ausschreitungen manifestierte, an denen sich nicht nur der Sündenbock “Vorzeigenazi” beteiligte, sondern vielmehr breite Teile der “normalen” Bevölkerung beteiligt waren. Mannheim, Rostock-Lichtenhagen, Mölln – um nur einige jener Orte zu nennen, welche zweifelhafte Berühmtheit auch heutzutage fast noch ausschließlich mit den damaligen Ereignissen verknüpft sind.

Doch hat sich in den letzten 20 Jahren daran soviel verändert? Nach der Verschärfung des Deutschen Asylrechts und dem generellen Rückgang der Asylanträge hat sich vielleicht auch einzig die innenpolitische Lage etwas entschärft. Sagt das jedoch Gehaltvolles über die grundmenschlichen Substrate dieser Ideologien und ihre Folgen aus? Macht sich fehlende Empathie und Egoismus gegenüber Lebewesen anderer Nationen nicht gerade auch in Diskussionen, um die Griechische Finanzkrise bemerkbar? Das Unverständnis semipolitisch interessierter Bürger, welche von “den faulen Griechen”, denen “die fleißigen Deutschen” “ihre” Milliarden “in den Rachen schmeißen” lässt rein argumentatorisch schon tief blicken. Da ist von “hungernden Deutschen Kindern” die Rede, ohne sich eingehender mit den derzeit weitaus verheerenden Auswirkungen jenes Wirtschaftszusammenbruch auf die griechischen Kinder auseinandergesetzt zu haben. Die Angst vor dem, was da kommen mag, ist hierbei sicher entscheidender Faktor und gewiss auch eine Art dümmlicher Neid – man hört Milliarden und schaut ins eigene Portemonnaie, hätte lieber selbst Anteil an den aufgebrachten Beträgen, sicher aber ohne selbst in eine solch existenzielle Situation geraten zu wollen, die man jedoch sicherheitshalber ausblendet. Man kann das Vorgehen der Deutschen Politik im Zuge der Wirtschaftskrise gut und gern kritisieren, auf politischer Ebene sogar sicher berechtigt, jedoch nimmt die populistische Rezeption dieser vielschichtigen Problematik selbst in manchen “Medien” schon bedenkliche Züge an.

Sind also aktionistische Terrorvereinigungen wie die NSU um Zschäpe, Böhnhardt & Mundlos tatsächlich “nur” Einzelerscheinung? Einige organisierte Hirnverbrannte eben, welche so gar kein Verständnis und Rückhalt im mittlerweile so liberalen und antinationalistischen Deutschland genießen? Interessiert sich der Durchschnittsbürger überhaupt noch nach der fünften Enthüllung derartiger Vorgänge für weitere Aufklärung & Berichterstattung oder will man lieber wieder vergessen, abschließen, den Deckel drauf machen? “Irgendwann ist ja auch mal wieder gut, den Opfern bringt das auch nichts mehr, die sind eh tot. Wirft ja auch alles ein schlechtes Licht auf die restlichen, braven Deutschen.”
Ein Blick auf die Verfassungsschutzberichte der letzten Jahre bezüglich “rechtsextremistisch motivierter Straftaten” lässt ebenfalls Vermutungen wach werden, die Sehschwäche des Gesetzes würde schon wieder auf einem Auge nachlassen – ein archaisches Kriegsleiden? Oder steht hier schlicht die Bemühung um eine außenpolitisch korrekte Darstellung der tatsächlichen Aufklärung entgegen und damit auch der nachhaltigen Auseinandersetzung mit dem Deutschen Erbe?

Doch gut, wozu Dinge großartig aufwärmen, die doch nunmehr wieder 20 Jahre zurückliegen?

Oft hört man ja auch von Deutschen die Bitte, nicht immer wieder mit den ewigen Nazivergleichen anzufangen, die neuen Generationen doch endlich losgelöst von den Verbrechen ihrer oft schon verstorbenen Vorfahren zu betrachten. Gerade in den medialen Betrachtungen von internationalen Meisterschaften, wie der Fußball-EM schlagen sich gern jene Schatten der Vergangenheit nieder. So kamen auch dieses Jahr wieder mancherorts zwiespältige Erinnerungen an fahnenschwenkende Massen hoch oder auch wie beim “Heimspiel in Danzig” mehr oder minder komische Witzeleien.

New statesmen Krisenbildnis merkelAuch die außenpolitische Betrachtungsweise der europäischen Krisenpolitik und Merkels Rolle darin führten ja kürzlich ebenfalls vereinzelt mal wieder dazu, dass die alten Bilder aus der politischen Kramkiste gezogen wurden.

Natürlich ist es ärgerlich in solchen Zusammenhängen immer wieder mit den lähmenden Totschlagargumenten niedergeknüppelt zu werden. Sicher ist es auch belastend, stets mit derartigen Vorurteilen betrachtet zu werden oder jener Schuld konfrontiert zu werden, wenn man sich doch so gar nicht selbst mit diesen “Idealen” identifiziert. Ganz sicher ist Rassismus auch kein rein deutsches Phänomen und “auch andere Nationen haben ihre dunklen Flecken in ihrer vergangenen oder aktuellen Geschichte”.

Alles irgendwie richtig (wenn auch vorallem letztes Argument häufig als Verteidigung & Rechtfertigung aus dem rechten Spektrum gebraucht wird und in gewisser Weise zu stark die Besonderheit des Nationalsozialistischen Massenmord banalisiert – das nur am Rande).

Dennoch zeigen gerade die gehäuften rassistischen Übergriffe des Jahres 1992, dass die Lehren aus der Geschichte eben nicht so internalisiert sind, dass man mal eben einen Schlussstrich drunter ziehen könnte. Das heißt nicht, dass auch Deutsche nicht einen gesunden Nationalstolz an den Tag legen dürfen. Die Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit kann gern auch als Chance gesehen werden, ebensolche Bilder, Geisteshaltungen und Vorgänge langfristig in die Geschichtsbücher zu bannen. Die Scham und Verletzung jener Vergangenheit als Motor für stetige Wachsamkeit der zukünftigen Generationen am Laufen zu halten. Damit das “NIE WIEDER” nicht nur hohle Phrase bleibt. Sich genau die neuen modischen Outfits versteckten Genozids und Menschenhass zu betrachten – weltweit sowie vor der eigenen Haustür die Augen und Ohren offen halten. Dann braucht man sich auch die Freude am eigenen Land und seiner vielleicht positiven Entwicklung nicht nehmen lassen. Weder durch miesepetrige Linksextreme, welche in jeglichem Anflug von Jubel für die eigene Nationalmannschaft gleich die Gefahr nationalistisch ausgetragener Stellvertreterkriege sehen, noch und schon gar nicht von irgendwelchen Faschisten, die tatsächlich jegliches Wiedererstarken eines Nationalgefühls missbräuchlich feiern und von denen man sich eben gern laut, vehement und öffentlich immer wieder distanzieren darf wie muss.

Der Herr Gauck fährt im August übrigens nach Lichtenhagen, um an den dort stattfindenden Trauerfeiern “am Sonnenblumenhaus” teilzunehmen. Ich bin gespannt, ob davon berichtet wird und wie.

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