Frisch rasiert ist halb gewuchert

LesenFreitage verkommen dieser Tage auch immer mehr zur Adventszeit. Alles voller Vorfreude aufs Wochenende und Erwartungen, welches Thema denn wohl diese Woche beim Fellmonster aus der Verpackung gefetzt werden darf. Einfach Widerwärtig. Konsumterror ohne gleichen. Solchen Spannungs-SchnickSchnack machen wir nicht länger mit. Daher glotzen wir ungeniert ohne christliche Höflichkeit, Anstand & Umschweife direkt auf den kurios geschmückten Gabentisch dieser Woche:

Das unbekannteste Buch, was der jeweilige Teilnehmer je gelesen hat.

Was für eine Perle an Thema! Wenn das mal nicht die Socken unterm Weihnachtsbaum vergeben und vergessen macht. Und wie geschaffen dafür, einmal mehr den Schlüssel zum Asyl für gerettete Bücher aus dem Giftschrank zu holen. Die Entscheidung fällt ausnahmsweise auch einmal fast leicht. Denn wann zum bärtigen Propheten sollte sonst das folgende lang verborgene Kunstwerk der haarigen Literatur jemals wieder die Chance auf wenige Sekunden Ruhm & Aufmerksamkeit besitzen? Obwohl. Bei den fantasievoll an den Haaren herbeigezogenen Themen kann man das eigentlich nie ausschließen, möglich auch, dass es schon nächste Woche “Die Gesichtsfrisur im Wandel der Literaturepochen” bei den 52 Büchern heißt und prompt nage ich am eigenen Bürzel. Seis drum – Vorhang auf für das

Tractat über den Barth

nicht ohne den epochalen Untertitel zu verschweigen, welcher da lautet:

Der ohne Ursach verworffene und dahero von Rechts wegen auff den Thron der Ehren wiederum erhabene

Barth/

Den jetzigen ohnbärtigen Zeiten sonder alle Furcht zu männliches Wohl und Vergnügen ausgefertigt vor und von Balthaser Permosern

Balthasar Permoser - Bart
Allein der Einband wäre schon eine frühere Erwähnung wert gewesen, beispielsweise bei den optisch gefälligsten Büchern. Jaja, das Jahr 1714 – das waren noch Zeiten! Damals pflegte man noch ordentlich am Erscheinungsbild der Lektüre herumzuschrauben oder in diesem Fall zu schnippeln (Ja, die Haarspaltereien und Frsiurenvergleiche werden nicht weniger!). Da war der Fließbanddruck noch Teufelswerk und Springer ein Entsprungener. Obwohl. Letzteres sollte beim Einstieg in den Inhalt dann doch schleunigst zurückgenommen werden:

Auszug Barth Tractat
“Der Barth ist die wahrhafte Zierde eines Mannes / und eines von denen ansehnlichsten Leibes-Gütern; Dahero verdienet er so wohl aus Ehrerbietung gegen den Göttlichen Befehl / als in Ansehung seiner sondern Nutzbarkeit gerühmet zu werden. Denn weil der hohe und allmächtige Gott/ bey Vollendung der Schöpfung das edelste Geschlechte von denen Menschen / sehr weißlich und zierlich mit einem Barthe / als einem Zeichen der Vollkommenheit / Authorität und Herrschafft / so natürlicher Weise auff alle Männer fortgepflanzt werden soll / versehen / selbigen in zukünfftigen Zeiten wohl in acht zunehmen ernstlich befohlen / und diejenigen / so denselben würden abnehmen lassen / schwerlich zu strafen gedrohet: So kan ein jeder die Weißheit des Schöpfers und seinen geneigten Willen eichtlich daraus abnehmen. Gott sahe schon vorher / wie nützlich und ehrbar es sehn würde / wenn das männliche Kinn gleichsam überkleidet / und durch diese Wohltat von aussen wider die allzugrosse Hitze und Kälte versichert wäre.”

sexismus werbung frauenbart

Plakat welches vor einigen Jahren jede Menge Apotheken zierte

Klingt stark nach der Präinkarnation von Mario Barth – auch wenn diese Zeilen immerhin einer unfreiwilligen Komik nicht entbehren. Eine feurige Rede “für das Beste am Mann” (Frei nach Onkel Gilette). Sicher war ich mir beim Einstieg in diese Lektüre jedenfalls nicht immer, ob der Autor hier nicht tatsächlich ein wenig Selbstironie seinem Geschlecht und dessem Stand unter den Menschen und vor Gott hat zukommen lassen, schließlich steht immerhin etwas von “Vergnügen” im Titel. Diesen Gedanken verwarf ich dann jedoch, mit zunehmender Dicke des wissenschaftlichen Pelz Anstrichs, welchen der Herr Permoser dort seiner Proklamation verpasst. Wo der Witz aufhört und der Mix aus Sexismus und altertümlichem oder hier zumindest zeitgemäßem Christentum anfängt, ist allerdings auch schwierig zu fassen. Wie sehr Humor verankert in den Bezügen der eigenen Zeit ist, wird an diesem lietrarischen Ausflug in die Anfänge des 18. Jahrhunderts stark bewusst.
Auch sonst ist dieses Zeitzeugnis vom Kult um eine heute bei uns (glücklicherweise) nur noch in Relikten erhaltenen Männlichkeit, eine erquickende Perle zum Stöbern. Ich gebe zu, komplett gelesen habe ich das Werk nicht. Zu viele Fragen, welche weiterer Recherche bedürften, taten sich bei den vom Autor gesetzten Bezügen auf. Irgendwann werde ich diese haarige Wissenslücke sicher einmal frisch frisieren, glattbürsten & abrasieren – nein Moment: “waschen, schneiden, legen” natürlich.
Ein wenig Aktualität besitzt das Tractat vom Barth trotz allem über die Jahrhunderte hinweg. Vorwärts wie Rückwärts. So ist das Haar schon spätestens seit Samson eines der prägenden äußerlichen Hauptmerkmale zur Konstituierung, Festschreibung & Zuordnung von Geschlecht. Je nach Mode, Kulturkreis und Gesellschaftsschicht sicher differenziert – verschieben sich die Maßstäbe & Ansprüche an die Haarträger & Haarträgerinnen. Gewisse Normen entbehren jedoch zu kaum einer Zeit ihrer Aktualität:
So ist der Bartwuchs bei Frauen scheinbar immernoch derartiger Makel einer propagierten Weiblichkeit, dass er ungeniert zu abschreckenden Werbezwecken eingesetzt werden kann. Bei Frauen mit Glatze oder Bürstenschnitt, wird häufig noch schnell mal an der sexuellen Orientierung gezweifelt und Männer mit langen Haaren sind auch alle Jahre wieder mal verpöntes, mal hochgejubeltes Subjekt einer neuen oder eben einer archaischen Männlichkeit – je nach Blickwinkel, Rahmen und Modestrom.

Spricht man da nun von Fluch oder Segen, dass sich kaum eine andere Sache am Körper so einfach und schnell beeinflussen lässt wie die Haare und deren Wuchs?

7 Responses to 'Frisch rasiert ist halb gewuchert'

  1. Silke says:

    Wo hast Du denn dieses Buch aufgetrieben? :-)
    Klingt nach einer recht kurzweiligen Lektüre – wie im übrigen auch Deine Artikel sich immer sehr schön lesen. Auch dieser wieder – ein kleiner, feiner Genuss!
    Liebe Grüße
    Silke

    • DillEmma says:

      Oh vielen lieben Dank :D

      Das Büchlein hab ich in der Garage einer guten Freundin erstöbert. Sie wollte sich ein wenig verkleinern und hatte “einige” Bücher aussortiert – ein Teil war schon an Bibliotheken gegangen, den Rest bekam ich dort Müllsäckeweise zum Stöbern vorgesetzt – ganz fatale Falle, allein der Gedanke schöne Worte auf einer Mülldeponie landen zu lassen, ließ mich um zwei blaue Säcke reicher aus der Garage entschwinden. Da war allerdings so einiges kurioses Zeug bei, das Barth-Tractat war aber schon mein kleines persönliches Highlight.

      • Silke says:

        Oh Gott – Bücher auf dem Weg zum Müll *schauder*
        Den Gedanken kann man wirklich nur schwer ertragen. Das hätte in mir auch die “Retterin” geweckt. Schön, wenn dann auch noch solche Kleinode dabei auftauchen :-D

  2. Ralph says:

    Zunächst: … nächste Woche “Die Gesichtsfrisur im Wandel der Literaturepochen” bei den 52 Büchern heißt und prompt nage ich am eigenen Bürzel. Danke für diesen Satz :-D

    Widersprechen möchte ich Deiner Theorie von der “Beeinflussbarkeit des Haarwuchses”. Rasieren, an allen möglichen und unmöglichen Stellen, klar. Aber hier ist die Richtung klar vorgegeben: kürzer oder weg. Der Weg in die andere Richtung sicherte Dir den Nobelpreis … es bleibt also eine haarige Angelegenheit.

    • DillEmma says:

      Den Dank nehm ich saugern entgegen – Kritik samt Nobelpreis muss ich leider zurückweisen, dabei weiß ich grad überhaupt nicht, was von beidem mir dabei mehr schmerzt: Den düsteren Johann von und zu dampfende Kräuterspirale der Fehlbarkeit zu bezichtigen oder eben neue, eigene Wege zum Einheimsen des Preises zu ersinnen.
      Das mit der anderen Richtung war jedenfalls bezogen auf medizinische Methoden, wie sie Wayne Rooney ja legendär präsentierte auf dem diesjährigen Fußballer-Schaulaufen. Auf pharmazeutischem Gebiet können auch Hormonpräparate, wie sie beispielsweise zur Geschlechtsanpassung verabreicht werden (in dem Falle dann also Haar- oder Bartwuchs fördernde), zumindest Impulse für die Richtungsänderung von “kürzer oder ganz weg” setzen.
      Schlagendes Argument für die Existenz des initiierten Haarwachstums sind aber, abgesehen von plastischer Chirurgie & Haarimplantaten, die Haarverlängerungen, also Extensions selbst. Wenn hier wer den Nobelpreis verdient, sind das also eindeutig Friseure ….fänd ich mal ne gelungene Abwechslung und sorgt sicher für lustig brüskierte Blicke unter den ganzen Forschern, Politikern und außergewöhnlichen Persönlichkeiten. :D

  3. Ralph says:

    MICH der Fehlbarkeit zu bezichtigen – nun, ein handfester Streit wäre die Folge … das kannst Du nicht wollen :mrgreen: Machen wir es wie in der Politik: es war nur ein Missverständnis. Wir meinten es beide jeweils richtig. Ich organisch und Du – nun, medizinisch, kosmetisch ;-) Und gleich mit einer Geschlechtsumwandlung zu kommen! Womit argumentierst Du, wenn man Dir mal ernsthaft Widerspruch leistet? Ich neige dazu, es zu testen …

    • DillEmma says:

      Also Streit vom Zaun brechen liegt mir ja ganz fern, da geb ich mich doch lieber politisch – aalglatte, diplomatische Kompromisslösungen eingeschlossen :mrgreen:
      Jedoch neige ich dazu, Neigungen zu testen ….trotz oder gerade wegen diesem unguten Gefühl, was behauptet, ich solle doch manchesmal meine Neugier besser im Zaume halten. Diese trotzige Haltung gegenüber Autoritäten ist eine wahre Krux, wenn es darauf hinausläuft, nicht einmal sich selbst gehorchen zu wollen…

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