Rezension einer radioaktiven Marmelade

Lesen nach AlphabetDie ABC-Challenge werde ich wohl nicht im vorgeschriebenen Zeitrahmen meistern. Diese geht schon mit diesem Monat zu Ende und obwohl ich zwar so ziemlich jeden Buchstaben zerstöbert habe, steuert mich mein derzeitiges Handycap namens Kapaltunnelsyndrom geradewegs in den Abgrund des Versagens. Da ich jedoch unfertige Dinge nicht leiden kann, wird hier ohne Rücksicht auf irgendwelche Zeitrahmen oder Sättigung bei etwaigen Leser_innen die Liste noch beendet.
Heute lernen wir also den Buchstaben R kennen: Krümelmonster, erzähl uns doch etwas über das R! Wo kommt es her, wo geht es hin?

Das R repräsentiert also gleich mehrere Buchstaben. Wieder was gelernt. Ob ich diese Abkürzung noch nutzen sollte, um das Projekt doch im vorgegebenen Zeitfenster abzuschließen?
Darüberhinaus brachte mir der Buchstabe R allerdings auch eine wunderbare Überraschung: Ich durfte neben einem bewegenden Buch auch einen scheinbar ziemlich duften Verlag kennenlernen. Den U-Line Verlag. Da gibt es eine Reihe, die sich Anti-Pop nennt und aus der gleich mehrere Titel überaus ansprechend wirken, sowohl hinsichtlich des Covers, Genres & Klappentextes. Eines dieser Bücher habe ich nun über Blogg dein Buch erhalten:

Die radioaktive Marmelade meiner Großmutter

Ramona Ambs isst radioaktive MarmeladeEs ist die Geschichte von Romy. Eigentlich von Romy, der Zweiten. Denn Romy wächst bei ihren Großeltern, Überlebenden des Holocausts auf. Ihre Mutter, ebenfalls Romy, starb am Heroin kurz nach der Geburt der eigenen Tochter. So verändert sich im Haus der Großeltern eigentlich kaum etwas. Die Geschichte startet einfach von neuem. Es gibt eine neue Romy, die wächst und gedeiht und dabei nicht nur äußerlich der eigenen Mutter immer ähnlicher wird. Auch Romy Zwei zieht es schon früh in den Rausch. Sie schnüffelt gemeinsam mit ihrem Opa an den Lacken und Farben im Keller und erfreut sich anschließend an den watteweichen Treppenstufen, beim Verlassen des Kellers. Später zieht es auch sie zum Heroin, auf die Straße und auf den Strich.
Woran es liegt, das sich die Geschichte so hartnäckig wiederholt, versucht auch Romy herauszufinden. Liegt es einfach nur am herrlich freien Zustand des Draufseins? Oder ist dieser Zustand, welcher sich so warm und sorglos anfühlt einfach nur noch verlockender, weil hier eben der Zwang des Überlebens, des Weitertragen der jüdischen Kultur, als eine Art Pflicht der Nachkommen Überlebender der Shoa, für kurze Zeit durchbrochen werden kann? Kein Überlebenszwang. Im Gegenteil: verboten süße Todesnähe. Ohne die verpflichtende Last einer ganzen Generation und aller vorangegangenen auf den Schultern tragen zu müssen.

Fazit

Dilliziös

Fünf von fünf möglichen Dillsträuschen und das eindeutige Urteil: Dilltastisch!

Thematisch haut die Autorin Ramona Ambs gleich in mehrere Kerben, die im Fokus meines persönlichen Interesses stehen. Die Verknüpfungen dieser einzelnen Spektren finde ich allerdings unheimlich gelungen und im Nachgang eigentlich erstaunlich selten derart umgesetzt.
Stilistisch feiere ich so viele Kleinigkeiten und die Detailverliebtheit dieses Büchleins. Ich möchte es auf einen Baumstamm stellen und einfach ein wenig drumherum tanzen. Da ist zum Beispiel die recht unkonventionelle Art der Kapitelbezifferung. Es beginnt bei Kapitel 135. Da das Leben ja auch nicht irgendwo anfängt, sondern es immer ein Davor geben wird, wählen Romy und Ramona fast schon trotzig eine willkürliche Zahl, welche dem Leben Raum gibt. Zwischendrin werden auch einfach einige Kapitel übersprungen, denn das Leben geht weiter, auch wenn es aktiv an einer passiven Protagonistin vorbeiströmt. Irgendwie rührte mich diese Lösung.
Auch der Erzählstil verändert sich schleichend. Sind die ersten Schilderungen aus den Kindheitstagen der Erzählerin noch in knappen, kindlichen, ja fast naiven Sätzen gehalten, so werden sie mit zunehmendem Heranwachsen komplizierter. Mit zunehmendem Wissenstand komplexer.
Wer Lust hat, dieses kleine außergewöhnliche Büchlein zu erstöbern und sich mit Romy auf eine Reise durch die psychischen Nachwehen der deutsch-jüdischen Geschichte sowie in den Alltag des Drogenkonsums zu begeben, dem sei das Werk wärmstens ans Herz gelegt.
Leute, bestellt radioaktive Marmelade – gesunde Nervennahrung für literarische Leckermäuler.

3 Responses to 'Rezension einer radioaktiven Marmelade'

  1. Beatrix Alfs says:

    Ich habe das Buch für eine Besprechung bereits beim Verlag geordert und bin sehr gespannt.

    • DillEmma says:

      Das freut mich sehr. Und Willkommen Beatrix. Ich bin ebenfalls gespannt, ob es dir gefällt, mittlerweile habe ich festgestellt, dass es minimal polarisiert …aber ich möchte da nicht irgendwelche Vorbehalte erwecken :mrgreen:

  2. Beatrix Alfs says:

    Es ist nun schon einige Wochen her, dass ich das Buch gelesen habe. Die Autorin hat sich mit dem Roman an ein äußerst sensibles Thema gewagt, nämlich den Holocaust. Vor allem hat sie damit aufgezeigt, dass auch noch die folgenden Generationen daran zu knacken haben. Wirklich genial umgesetzt!

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