Frau Fellmonster stiftet auch in der 32 Bücher-Woche wieder Verwirrung. Diesmal mit dem Thema:
“[Ein] Buch für einen fiesen heißen Sommernachmittag ohne Klimaanlage”
Beim erfolgreichen Nachschlagen in einem handelsüblichen Lexikon dämmert mir auch langsam, worauf das Motto abzielt:
ACHTUNG! Abgewetzte Wetter-Polemik, wie sie an jeder oberflächlichen Straßenecke praktiziert wird
“Sommer” – ja, da war doch mal was. Das waren noch Zeiten. Kindheitserinnerungen durchfluten mich. Aus der derzeitigen meteorologischen Situation heraus kann ich mich jedoch eines saisonbedingten Leseverhaltens überhaupt nicht mehr entsinnen. Diese Zeiten scheinen so unheimlich fern. Ich beginne an einem kalten regnerischen Tag zu Lesen und wenn am nächsten Tag die mieseste Sommerhitze hereinbricht, lese ich einfach weiter, die abendlichen Gewitter werden die Jahreszeit schon wieder zur Vernunft bringen.
Doch andernorts scheinen sie noch zu existieren, die wirklich heißen Sommer, welche den noch Verstand vernebeln, den Geist zu matt zum regen Räkeln werden lassen.
Oder handelt es sich bei diesem Beitrag auf dem legendären Filmforum IMDb gar um skandalöse Enthülllungen, welche der aufgeklärten Öffentlichkeit keineswegs vorenthalten werden dürfen? Wie die Sachlage genau aussieht, überlassen wir lieber den Experten, den zahlreichen Kommentatoren der einschlägigen Plattformen und möglicherweise auch, gütig wie wir nun einmal sind, der BILD-Zeitung.
Wir hingegen wollen uns wieder angemesseneren Gefilden zuwenden: Der Spekulation. Eine kleine Umschau in den Beiträgen anderer Teilnehmer am Literatur-Projekt 52 sollte für Inspiration sorgen. Das spätere Bearbeiten der Themenvorschläge hat so seine Vor- und Nachteile. Einerseits ist manch großartiges so Buch schon vergeben, andererseits kann man eben diese Doppelungen im Vorhinein umgehen und, wie im vorliegenden Falle, gewisse Tendenzen feststellen.
Der sommerliche Trend geht jedenfalls überwiegend die schon intuitiv vermutete Richtung:
Ein abgegflachter Geist mag es seicht
Nein, das ist keine Teilnehmerbewertung, sondern schlichtweg ein Dämse-Phänomen. Ist die Klimaanlage nicht korrekt geeicht, so kommt es schlagartig zu einer allgemeinen Hirn-Dörre und es wird vermehrt zu Chic-Lit und dergleichen gegriffen.
Dem kann ich in etwa beipflichten. Dennoch möchte ich damit das Werk, welches mir durch meinen vorletzten Sommer half, nicht den Ruf der Seichtheit andichten und es womöglich verunglimpfend unter Wert verkaufen.
J.R. Moehringer – Tender Bar
Das autobiografische Debüt des amerikanischen Autors J.R Moehringer besticht schon durch sein putziges Format. Perfekt für die sommerliche Gürteltasche. Diese neumodischen Abmessungen gehen mit dem Trend der technik, alles wird kleiner. Das Taschenbuch erklimmt auf der Leiter der Evolution die Sprosse des Hosentaschenbuch.
Der Schreibstil harmoniert wunderbar mit jener federleichten Haptik des Romans. Ein richtiges Buch zum Liebhaben. Wahrhafte Sommer-Lektüre.
Der Protagonist, über weite Strecken wohl mit dem Autor gleichzusetzen, wächst in der für ihre Spirituosen berühmte Kleinstadt Manhasset auf. Das Buch ist wahre Liebeserklärung an eine Bar, welche Dreh- und Angelpunkt der Kindheit und Erziehung des jungen J.R. darstellt. Romantisch angehaucht wirken auch die Nebenerscheinungen jener Bar-Kultur, der unvermeidliche Alkohol, die dazugehörigen Promille sowie ein überwiegend nicht-nüchterner Haufen “echter Männer”, welche trotz des hohen Alkoholkonsums, der beim Lesen förmlich olfaktorisch spürbar wird, extrem sympathisch wirkt.
Der kleine J.R. vermisst seinen Vater stark, welchen er überwiegend nur als “die Stimme” aus dem Radio und sonst eher als abgehauen, unzuverlässig bis gar nicht kennt. Er lauscht ihm heimlich, ist sich manchmal jedoch nicht einmal wirklich sicher, ob die Erzeuger-Mythen, welche Seine Mutter ihm dort auftischt, tatsächlich auch der Wahrheit entsprechen. Die Männer aus der Bar verschmelzen in ihrer Vielfältigkeit allesamt, vom Rowdy über den gescheiterten Geschäftsmann bis hin zum charismatischen Herzensbrecher, im zärtlichen Blick des kleinen Jungen zu einer großen Vaterfigur. Sie nehmen sich rührend unbeholfen und manches Mal auch überaus unpädagogisch der Erziehung des Kleinen an. In der Männer-Runde erfährt Moehringers alter ego jene Sozialisierung zur hegemonialen Männlichkeit, eine Einführung in die modernen Riten und Gebräuche “wahrer Mannhaftigkeit” in all ihren Facetten, auch jenen weitab des herkömmlichen Männerbildes.
Besonders nahe ging mir die Entdeckung jener faszinierenden Welt der Bücher, der Wunsch zu schreiben und das Gefühl der Bedeutungslosigkeit auf dem Weg zur Erfüllung jener inneren Bedürfnisse. Die Synchronizität der Ereignisse spülte jenes Buch in einer ebensolchen Phase des Zweifels zu mir. J.R.’s einst glorifizierte Ziele, die Aufnahme an einer angesehenen Universität, der damit einhergehende Ausbruch aus dem Umfeld und der Einstieg bei der Zeitung seiner Träume, all das erweist sich letztendlich als so erschreckend ernüchternd. Dennoch ist die Botschaft, trotz allem Stolpern, Versagen und Desillusion letztendlich eindeutig: Durchhalten, Aufstehen, Weiterschauen und Weiterkämpfen.
Fazit
Mut ohne Pathos – Lebensnahe Schlichtheit – Ein Buch zum Liebhaben eben.
Zudem bin ich nach diesem Artikel um eine Erkenntnis reicher: In mir steckt offensichtlich mehr Bio-Graf, als ich es mir selbst eingestehen wollte.