Da es sich hier um den zweiten Beitrag zur ABC-Challenge handelt, sollen auch gleich zwei Werke vorgestellt werden. Dies wird natürlich nicht als Tradition etabliert. Ich werde gewiss nicht zum 26. Buchstaben auch 26 Bücher rezensieren. Diese zwei gehören jedoch einfach zusammen. Nicht nur, weil es sich um Band I & II einer hoffentlich auch bald von Teil III gekrönten Fortsetzung handelt. Sondern insbesondere auch, da der literarische Genuss der “Känguru-Chroniken” und des Folgebandes dem “Känguru-Manifest” für mich eines der brüllend komischsten wie intelligentesten Leseerlebnisse der letzten Zeit repräsentieren.
Marc-Uwe Kling: Die Känguru-Chroniken
Marc-Uwe Kling seines Zeichens Kleinkünstler und Anarchist bekommt einen neuen Nachbarn. Ein Känguru. Es ist gerade gegenüber eingezogen als es schon klingelt, um sich Eier zum Eierkuchen* backen bei ihm zu leihen. Kaum fällt die Tür hinter dem Beuteltier ins Schloss, klingelt es gleich wieder, um sich auch noch fehlendes Salz, Milch & Mehl auszuborgen. Als es wenig später erneut klingelt, bittet es um Mixer und Schüssel. Beim letzten Klingeln fiel ihm wohl auf, dass es noch gar keinen Herd besitzt und läd sich prompt selbst zum Essen ein. Von diesem Augenblick an kehrt es, meinen Spekulationen zufolge, eigentlich nur später noch einige Male in die eigene Wohnung zurück, um seine wenigen Habseligkeiten endgültig in Marc-Uwes Domizil zu verfrachten und dort komplett einzuziehen. Selbstverständlich als kostenloser Untermieter, immerhin handelt es sich um ein kommunistisches Känguru. Wobei “Kommunismus” (nicht nur **) in den Augen des Kängurus offensichtlich Auslegungssache ist. Diese flexible und dennoch geistreich analytische Sichtweise auf politische Ideologien & Verhältnisse zieht sich konsequent durch Klings Känguru Bücher. In den meist nur einige Seiten kurzen Anekdoten streifen, kitzeln und erschlagen Känguru & Kleinkünstler die unterschiedlichsten Themenkreise auf überaus humorvolle Art.
Trotz dieser überwiegend in sich geschlossenen Betrachtungen unterschiedlichster Phänomene unserer Zeit, ziehen sich einige Ideen der kuriosen Wohngemeinschaft wie ein roter Faden durch die Bücher. Es könnte glatt behauptet werden, die Werke leben von einer aufs genialste zugespitzten Komik eines Sammelsurium abstruser Running Gags, welche die Beziehung zwischen Marc-Uwe & Beuteltier so unglaublich realistisch, eheähnlich und beneidenswert zeichnen.
Da wäre beispielsweise die “Not-to-do-Liste”*** des Kängurus, an der es seine Tagesplanung orientiert und so auch Unannehmlichkeiten, wie dem unsäglichen Badputz und anderen Gefälligkeiten im Zusammenleben konsequent aus dem Weg geht.
Dann die überaus charmante Idee bekannte Zitate in einen völlig neuen Kontext zu stellen, indem ihnen ein neuer Urheber zugeschrieben wird.****
Schlussendlich natürlich auch der grandiose Einfall, eine Anti-Terror Organisation zu gründen und Anti-Terror-Anschläge der konsumkritischen Art zu veranstalten. Ob hierzu auch der interne Wettbewerb zwischen Beutelboxer & Berliner gehört, gewisse Gesprächspartner, wie Polizisten und den Spitzenkandidaten einer rechten Partei auf derart subtile Weise zu beleidigen, dass dem Gegenüber dieser Umstand nicht auffällt, ist mir gerade unklar. Aber erwähnen und weiterempfehlen wollte ich diese schöne kulturelle Sitte doch noch ganz unauffällig.
Die Känguru-Bücher von Marc-Uwe Kling strotzen jedenfalls nur so von unkonventionellen Ideen, welche große Lust bereiten, ein wenig von dieser geschilderten Lebensweise zu übernehmen. Die Nachahmung dürfte zwar überwiegend gesellschaftlich nicht gerade empfehlenswert sein, dafür aber eben epochal spaßig.
Nachteil: Im Anschluss an die Lektüre, eigentlich schon währenddessen, keimt der dringliche Wunsch im Lesenden, auch ein sprechendes kommunistisches Känguru zum Mitbewohner zu haben.
*Für alle Nicht-Berliner: “Eierkuchen”, so nennt der Berliner das, was sonst landläufig als Pfannkuchen bekannt ist. Als Pfannkuchen hingegen bezeichnen Berliner die Dinger, welche durch die umliegenden Bundesländer kannibalischer Weise “Berliner” genannt werden.
**In den wenigen fehlgelaufenen Realisierungen der kommunistischen Idee als Staatsform, beweist sich diese Auslegungssache von politischer Utopie und diktierter Ideologie. Sozialismus & Kommunismus stellen in diesem Scheitern diverser Gesellschaftsformen jedoch keine Ausnahme, sondern vielmehr das Paradebeispiel der Regel menschlichen Versagens dar.
***243. Glastüren übersehen
244. Aus Langeweile ein Detektivbüro gründen
245. Zu Leuten mit Migräne sagen: ” Ich habe heut auch ein bissel Kopfschmerzen”
246. Wenn jemand sagt: “Ich finde dich ganz toll”, antworten: ” Na, da können wir ja ‘nen Club aufmachen”
247. Wenn man Geburtstag feiert, und nur einer ist gekommen, und der singt: “Heut ist dein Geburtstag, deshalb sind wir hier. Alle deine Freunde feiern heut mit dir”, sagen: “Du bist nicht mein Freund.”
****“Die Proletarier haben nichts zu verlieren als ihre Ketten.” Heidi Klum