Überschätzte Literatur

LesenEs ist heiß, schwül und Freitag. Ersteres regt nicht gerade zum Gebrauch der grauen Zellen an, letzteres seit einigen Wochen rituell schon: Es ist Fellmonster-Tag! Zeit für Bücher! Heute mit einem Thema, was sich recht praktisch in die vorher abgesteckten meteorologischen Rahmenbedingen einbinden lässt:

Ein bekanntes Buch, von dem man fast nur Gutes hört, Dir aber gar nicht gefallen hat.

Manchmal sollte man schlicht auf sein Bauchgefühl hören – oder nein, nicht man: ICH! – mancheiner sollte eben nicht auf sein Bauchgefühl hören, wie dieses Beispiel beweisen sollte:

Corinne Hofmann: Die weiße Massai

Das Buch wurde mir förmlich aufgeschwatzt, das anfängliche Unwohlsein in der Magengegend, ob des Covers, des Titels und auch des Klappentextes einfach totgeredet. Doch Totgesagte leben bekanntlich länger* und so meldete sich jenes Magengrummeln schon nach den ersten Zeilen wieder, manifestierte sich und erwuchs im Laufe der Lektüre zur chronischen Gastritis.
Das mir als “kulturelle Entdeckungstour, ein Aufeinanderprallen von Erfahrungswelten in einem anschaulichem wie ehrlichen Erfahrungsbericht” angepriesene Werk entpuppte sich, nicht unbedingt wider Erwarten, als seichte Lektüre bodenloser Naivität. Förmlich eine literarische Vorlage für diese TV-Sendungen, in denen Kevin-Paskal und Priska-Schalin dafür bezahlt werden Deutschland zu verlassen und andere Länder mit ihrer uneingeschränkten Blödheit heimzusuchen. Ich ärgerte mich jedoch immerhin so sehr über diese autobiografische Erzählung, dass ich es in meinem Frust trotz aller Vorhersehbarkeit tatsächlich auslas.

Wer zu den Glücklichen gehört, an denen dieses “Buch” doch vorbeigegangen ist, bekommt hier eine kurze Zusammenfassung des haarsträubenden Erlebnisberichts:

Eine europäische, aufgeklärte wie selbstbewusste (ihrer eigenen Ansicht nach!) Frau, “verliebt” sich auf einer Kenia-Urlaubsreise in einen Massai-Krieger. Allein dieses Setting, ließ ad hoc Vorurteile vom oberflächlichen Heimchen in mir aufkeimen, welches nur auf der Suche nach einer exotischen Trophäe ist. Aber im stetigen Kampf gegen die eigenen Vorurteile, rang ich diese, mich abrupt übermannende Intoleranz meinerseits nieder, streifte meinen Rassismus ab und gab der Weißen eine Chance. Vielleicht war ja alles viel gehaltvoller als zunächst angenommen. Vielleicht verliebte sie sich ja nicht nur von einer Sekunde auf die andere in ein besonderes Äußeres, mit welchem sie aufgrund der Verständigungsschwierigkeiten zu keinerlei brauchbarer Kommunikation und damit tiefschürfender Verbindung fähig war.
Wahrhaft falsch gedacht: Im Verlauf des Buches betont Corinne Hofmann bei jeder sich bietenden Gelegenheit, die strahlende Schönheit ihres “Geliebten” und inwieweit er sich in puncto Attraktivität doch von allen anderen so abhebt. Diese postpubertären Schwärmereien hängen mir als Leser prinzipiell schon spätestens beim Ansetzen zur zweiten Wiederholung dieser Prozedur zum Halse raus, aber bis auf diese fadenscheinig schwulstige Liebe gibt es ja noch so viel mehr zu bemängeln:

Die weiße Massai” besitzt soviel Potenzial, vom Glauben an einen vernünftigen Menschen abzufallen, so unglaublich zahlreiche Gelegenheiten den eigenen Kopf einfach mal ungläubig harte Bekanntschaft mit einer beliebigen Rauputzwand schließen zu lassen.
Die Autorin entschließt sich nämlich nach ihrer Rückkehr aus dem Urlaub und dieser (*weinerlich sehnsuchtsvoller und tragender Unterton und ganz ganz viele GEIGEN!*) unglaublich tiefgreifenden Begegnung mit dem eindeutig Seelenverwandten, so unglaublich mutig, tapfer und entschlossen gegen jegliche Ressentiments** anzulaufen, seien es familiäre oder behördliche. Aus einer schier unendlichen Abenteuerlust & “Liebe” zieht sie bereits ein halbes Jahr, doch eine gefühlte Ewigkeit später in eine völlig andere Kultur ohne dazu scheinbar Vorbereitungen irgendeiner Art getroffen zu haben, wie etwa Spracherwerb, tiefergehender Auseinandersetzung mit den kulturellen Gegebenheiten vor Ort oder sonstige Vorkehrungen, die all diese unromantischen Vernunftmenschen sicherlich getroffen hätten.
Naivität und Oberflächlichkeit, die nahezu körperlich schmerzt. Wirklich, ich habe nichts gegen romantische Verklärung, aber mir sträubt sich schlicht jede einzelne Darmzotte ab einem gewissen Grad menschlicher Dummheit. Die anschließenden nüchtern heroisch vorgetragenen Beschreibungen der überraschend einfachen Lebensumstände und die Kluft zwischen dem Wunschtraum jenes Liebesabenteuers und der Unvereinbarkeit mit den kulturellen Hintergründen der beteiligten Personen – es ist schlichtweg zum Schreien, zum Davonlaufen, zum Telefonbuchzerreissen.

Sicher gab es auch andere (wertvollere) Bücher von denen ich ebenfalls oder sogar enttäuschter war, da ich mir tatsächlich mehr, beziehungsweise überhaupt etwas erwartete, sei es vom Autor oder vom ganzen Brimborium, was so drumherum gemacht wurde. Prinzipiell bin ich vor manchen Top-Platzierungen in diversen Bestseller-Listen eh schon gefeit. “Die weiße Massai” hat diesen Beitrag dennoch besonders verdient, da es mich kalt erwischte, mein Vertrauen zu glaubwürdigen Empfehlungen nachhaltig erschütterte. Kein Leseerlebnis hat sich derart verstörend eingebrannt, wie mein Ausflug in jenes sonst von mir so gemiedene Genre. Es sind die emotionalen Begleitumstände, welche überhaupt zum Konsum des Schinkens führten, die der Sache ihre ganz eigene Tragik und Brisanz verleihen. Denn wohlweislich habe ich schon eine Menge Müll gelesen und auch Dinge, die mich zutiefst aufregten und an den Menschen allgemein Zweifeln ließen. Doch dieses undefinierbare*** Genre würde ich nicht einmal mehr zu Forschungszwecken über gewisse Geisteshaltungen anfassen, wie ich es bei politisch überaus fragwürdigen Texten trotz des stets wiederkehrenden Infarktsrisiko in regelmäßigen Abständen über mich bringe.

Mittlerweile ist der Mensch, der es mir damals noch zu Schulzeiten empfahl und versicherte, das Buch hätte mit dem von mir befürchteten Genre so überhaupt nichts gemein, Pfarrer. Liebe Christlichen Gemeinden, im Raum Berlin, glauben sie ihren Kirchenvorständen kein Wort! Treten sie einfach aus. Ich habe sie gewarnt.

Herzlichst,

Eine Geschädigte

 

 

*das Eintreten jener Weisheit kann lediglich verhindert werden, wenn trotz Elfmeter in der Nachspielzeit nicht die zusätzliche Minute gewährt wird, aber lassen wir das – ich persönlich drück den Italienern erstmal alle vorhandenen Gliedmaßen – möge die Mannschaft mit mehr Herzblut und weniger Ball-Rumgeschiebe gewinnen.

**Corinne bertrachtet zumindest die durchdachten Ratschläge, nichts zu überstürzen und sich eventuell vorher noch einmal zum Hirn einschalten bewegen zu lassen, als böswilligen Widerstand gegen ihre so tief empfundene “Liebe”

**Wie auch immer die spezifische Bezeichnung jener Romane ist, ich würde sie ja “spiritistisch angehauchte Frauen-Erweckungsromane” oder dergleichen nennen, wer mehr weiß, darf dies gern verlautbaren.

5 Responses to 'Überschätzte Literatur'

  1. Ralph says:

    Chapeau für diesen Artikel – aber kein Mitleid für die Qual. Wer seinen ersten, und richtigen, Eindruck so schnell aufgibt, weil es “empfohlen” wurde, hat es nicht anders verdient :mrgreen: Aber die “Rezension” war ein Vergnügen!
    Herzliche Grüße.

    • DillEmma says:

      nun gut, ich war jung und brauchte diese harte Erfahrung offensichtlich ….also irgendwie – zumindest eben als Lehre ;)

  2. Silke says:

    Hehe, danke für diesen schönen Beitrag! Ich habe herzlich gelacht! :-)

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  1. [...] einem Leseexperiment breitschlagen lassen. Was dabei rumkam, kann mensch sich entweder denken oder hier nachlesen absoluter DillSchnitt – ein Fragment des [...]

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