Gedächtnis an Krücken

Projekt 52 BücherEine kurze Verschnaufpause haben wir uns nochmal gegönnt. Immerhin befinden wir uns ja nach langer Muskelerschlaffung erst im Aufbautraining. Da hat die erste Hürde den Oberschenkel noch ganz schön zum “Mimimimimi”-Singen gebracht. So salben und ölen wir kurz unsere Wunden, lecken einmal kurz hinüber und donnern schon volles Karacho auf die nächste Hürde zu (Notiz an mich: Lern aus deinen Fehlern: Drüberspringen scheint schmerzloser als umrennen …Eleganz ist auch nicht gerade deine Sache, wa?)
Lesezeichen
Das ist doch ein schönes und so vielfältiges Motto. Zumal jene Gedächtnisstützen Menschen mit einem so unheimlich grandiosem Zahlengedächtnis ( ich kann mir meine zehnstellige Kontonummer ohne weiteres merken und weiß auch noch die Telefonnummern, sämtlicher Grundschulfreunde – da geht nur keiner mehr ran – doch sobald eine vierstellige Pin oder wahlweise eben eine zwei- bis dreistellige Seitenzahl auf mich zugewatschelt kommt, bricht der Angstschweiß in Strömen aus, die Knie schlackern und das Gedächtnis schaltet auf Durchzug. Degeneration durch Schnellwahltasten. Die Technik ist also schuld. Also widmen wir uns den liebgewonnenen Hilfsmittel im Dschungel der Zahlen.

Das Eselsohr

lat. folium libri complicatum

- die verworrene Seite des Buches

…dient bei mir zur Markierung ganz besonders wertvoller Stellen, welche ich auf ewig immer und immer wiederfinden möchte.
Der geneigte Bücherliebhaber wird nun womöglich spontan die starke Intention verspüren, mir solche Flausen mittels Faustabdruck aus dem allzu hellen Köpfchen zu abstergieren. Doch sei stark, werter Librophilos, denn diese Beichte nimmt sogar noch weitaus größere Ausmaße an:
Ich verfüge sogar über ein ausgeklügeltes Eselsohren-System! Da diese Unterkategorie eines Lesezeichen insbesondere dazu dient, herausragende Formulierungen zu markieren, versuche ich mit der Spitze des Eselsohr möglichst auf den Satzanfang oder gar auch nur auf das betreffend Wort zu zielen. Je nach Format des jeweiligen Buches, sind dabei Origami-Kenntnisse für Fortgeschrittene überaus nützlich.

Tabakpackung

lat. folium librum involucrum tabaci – so zumindest die vom Gott des Rauchens höchstselbst überlieferte Übersetzung, dieses altehrwürdigen Lesezeichens. Leider wurden schriftliche Dokumente, welche diesen Urahnen aller Lesezeichen als solchen belegen bei einem Großbrand durch eine aus der schläfrigen Hand geglittenen Opiumpfeife bereits schon in den Ursprüngen vernichtet. Jene Brandkatastrophe führte nicht nur zur abrupten Neufindungsphase anderweitiger Gegenstände, welche den derzeitigen Stand des Lesevergnügens kennzeichnen sollten. So liegt es durchaus auch Bereich des Möglichen, dass sich im Laufe der Geschichte mündlicher Überlieferung zum Vergessen jenes Ur-Lesezeichen auch Grammatikfehler in die Ursprungsbezeichnung eingeschlichen haben. Nur darauf ist ein eventuell fehlerhafter Titel und die wahrscheinliche Nicht-Auffindbarkeit jener Historie zurückzuführen – Nicht etwa auf dreiste Lügengeschichten und mangelnde Lateinkenntnisse der Nicht-Urheberin dieses Begriffes.

Diese Art von Lesezeichen benutze ich bevorzugt auf Arbeit. Statt Mittagspause habe ich es mir mittlerweile angewöhnt, alle ein bis zwei Stunden eine kurze Raucherpause zu machen und dabei einige Seiten zu lesen. “Schmökern & Schmöken” – wie eine kleine Bevölkerungsgruppe im nördlichen Westphalen am Rhein es titulieren würde (Diese Phrase stand da plötzlich und wird aufgrund mangelnden Interesses an geografischen Begebenheiten jetzt keiner weiteren Überprüfung unterzogen, der sie womöglich nicht standhalten würde. Dann müsste ich da ja etwas ändern! Also lebt damit.)

Krempel

lat. res (ganz ehrlich: diesen Witz finde ich gerade grandios und griene in mich hinein – auch wenn er wahrscheinlich keinen Menschen, nicht einmal die oft mit krudem Humor ausgestatteten Philologen zu einem müden Lächeln ermuntert – es ist allerdings auch Montag, wo selbst ich erwiesener Maßen auch mal zu Fehleinschätzungen und hochgradiger Albernheit neige)

Diese Kategorie erstreckt sich von wichtigen Unterlagen, über Rechnungen, Wahlbenachrichtigungen bis hin zu Visitenkarten. Daher muss ich, sobald irgendetwas Klärung bedarf auch immer alle Bücherregale ausräumen, so dass sich all meine beseiteten Freunde stets einer ausgiebigen Lüftung & (Zu)Wendung erfreuen. Auch ist diese Praxis für das lesende Element jener symbiotischen Beziehung ein andauerndes wie freudvolles Gedächtnistraining, da es sich innerhalb einer fortwährend neuen Ordnung des Literaturbestands zurechtzufinden muss.

dann isses halt kacke

Einfach episch! Wer kann schon von sich behaupten, dass jemand nur zum Beantworten der eigenen Fragen extra einen ganzen Schwung Visitenkarten hat drucken lassen? Demnächst folgt dann auch das passende T-Shirt (für Sichiboom: "Nicki") mit der Aufschrift "Einmal mit Profis arbeiten..." - ebenso phänomenal: Zwei Lesezeichen in einem Bild. Fehlt nur noch der Tabak, aber ich will ja nicht schleichwerben. Außerdem ist rauchen ganz schlecht, liebe Kinder!

Zu jenen Unterlagen gehören dann, wie erwähnt, oftmals auch Visitenkarten von mehr oder (eher) minder “wichtigen” Menschen. Eine dieser Selbstdarstellerkärtchen jedoch hat in den letzten Tagen tatsächlich mein Herz erobert. Sie wurde mir von einem Kollegen überreicht. Ungefragt. Dabei hätte er sicher nur wenige Minuten warten müssen, um mir wegen irgendeiner unqualifiziertn Anfrage eine solche Karte statt Antwort zu reichen. Schließlich hat er die Dinger doch nur aus diesem Grund bestellt. Entweder erlag er in diesem Fall seiner Vorfreude, die aufgrund der langen Lieferzeiten schlichtweg überdehnt war oder ich bin einfach ein ganz besonderer Fall von Mitarbeiter ….eine, die eben auch ohne Anlass jederzeit ein solches Souvenir verdient.

4 Responses to 'Gedächtnis an Krücken'

  1. Ralph says:

    Als ich beichtete, Bücher auf das “Gesicht” zu legen, wurden mi JLo-Lesezeichen zuteil :mrgreen: Mal sehen, was Du nun so bekommst … außer einer strengen Ermahnung! Aber ansonsten gilt: kannste knicken ;-)

    • DillEmma says:

      “Kannste knicken” find ich dufte. Dieses Lebensmotto hat mich einst harte Woche in einem Verlagspraktikum gekostet. Dennoch ist es mir immer noch ein Rätsel, wie diese Menschen es schaffen, ein Buch zu lesen und den Rücken dabei faltenfrei zu lassen. Ich bewundere, doch meine Bequemlichkeit macht mich wohl lernresistent…

  2. Fellmonsterchen says:

    “Das kannste schon…” ist ja wohl obergrandios und hochepochal!

    • DillEmma says:

      oh, das fand ich auch – einfach herzerfrischend – ich hätte es auch zu gern abgekupfert, doch den Personen, bei denen mir ein Gebrauch dieser Karten vorgeschwebt hätte, geht ein gewisser Sinn für Humor und Selbstkitik leider ab…

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